11.08.2013 17:50:52 | Lab'ryiel - Das blutige Lied (#71487) |
Morna | „64 Saiten die Laute, 2 scharfe Schneiden das Schwert, 64 Saiten die Laute, 2 scharfe Schneiden das Schwert“ wie ein Mantra murmelt sie es. Der Schleifstein wird so heftig über die ohnehin schon messerscharfe Klinge gezogen, dass fast schon Funken davon abstieben. Welch aberwitzige Situation! Ihr ganzes Leben konnte sie vermeiden, an die Oberfläche zu gehen. Weil dort oben alles falsch ist, angefangen beim verhassten Licht. Ihr ganzes Leben streifte sie durch das Unterreich, viele bekannte Orte, noch mehr unbekannte Plätze kamen ihr zu Gesicht. So lange ist es her, seit….. ... Stampfendes Marschieren von Soldaten, die Formation üben. Metall gegen Metall – Klinge gegen Klinge, Schild gegen Klinge. Stöhnen, Geschrei. Blutgeruch, Schweißgestank. Das sandbestreute Geviert im Innenhof des Hauses war gefüllt mit Sargtlinen bei der Ausbildung. Das war ihre Welt, das sollte ihre Welt sein – und doch kam alles anders. Ein leises Knacken des Schleifsteines reisst sie aus den Gedanken zurück in das Hier und Jetzt. Sie schleudert den geborstenen Splitter zu Boden, setzt neu an mit ihrer Arbeit. Das Schwert? Oder besser die Schwerter? Wie lange war es her, seit sie von Amalafein in zerrissener Rüstung mit Laute auf dem Rücken gefunden wurde? Ein alte Klinge an der Hüfte – die alles war, was sie zur Verteidigung hatte. Sie hatte von dem Posten gehört, wollte hier Rast einlegen, sehen, ob es sich zu bleiben lohnt und so war es der Priester, der sie dorthin brachte. Wie lange waren die ersten Lektionen her, die er ihr gab? Härtere Lektionen waren es, als sie von ihrem Hause kannte. Zyklen, Großzyklen… Aber es war genau das, weshalb sie ausgezogen war. Sie wollte den Besten finden. Um selber zur Besten zu werden. Ein unverhofftes Lächeln. Er hatte ihr die Nase gebrochen. Er hatte sie blutig geprügelt, er hatte sie mit dem Schild fast erdrückt. Aber er hatte sie gestählt und härter gemacht, er hatte sie geformt. Zu seiner Selvetargtlin. Und zu mehr. Sie sollte seinen Willen umsetzen. Sein Wort. Mit dem Daumen prüft sie die Schneide des Langschwertes, hebt es auf Augenhöhe an und betrachtet den schmalen Grat: Keine Scharte ist darin, die nicht gewollt war. Kein Fehl in der Umwicklung des Griffes würde die Hand im Kampf behindern. Zufrieden kann sie sich also jetzt der großen Klinge widmen, deren Umgang sie noch lernen muss. Und jetzt? Er hatte ihr gezeigt, dass sie „oben“ das Tun konnten, was ihre Aufgabe war. Blut. Schädel für Selvetarm. Er nahm keine Rücksicht, ob ihre Augen vom Licht tränenblind waren. Er nahm keine Rücksicht darauf, ob sie mit den Lauten, der Sonne, den Gegebenheiten zurechtkam: entweder sie schaffte es, oder sie war es nicht wert. Und sie wollte ihm beweisen, dass sie es wert war! Selbst den Kontakt zu den Menschen nahm sie auf sich, galt es doch, ein höheres Ziel zu verfolgen. Selvetarm hatte sie gerufen als sie damals aufbrach. Und durch den Priester den Ruf erneuert. Präzise führte sie Streich um Streich: ein Sirren, das so regelmäßig war, wie bei einer Maschine. Scharren, Schleifen, immer und immer wieder: Ssssst, ssssst, 64 Saiten die Laute, zwei Schneiden das Schwert – keine Musik, aber ein Takt, den es einzuhalten galt. Parieren, Kontern, Zuschlagen. Auch das ein Takt, ein anderes Lied. Lab’ryiels Gedanken waren aufgewühlt vom Erlebten. Bündnisse, die zu halten waren, Bündnisse, die zu brechen drohten. Interessen, die sie nicht verstand, weil sie von ihren abwichen. Ehre, wo sie keine erwartete. Forderungen, die einfach falsch waren. Worte gegen Worte. Wie fragil doch alles war – und doch gab es eine Konstante. Langsam bettete sie die lange schwere Klinge, die für zwei starke Hände geschaffen war, auf eine Decke und sie wurde ruhig. Es lag jetzt in der Hand des Priesters. Und sie würde ihm folgen. |