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05.09.2011 07:28:37
Die Bewährung (#51232)
Ylenavei
[b]Nach Amdir[/b]

Leise strich der Wind durch die Bäume, welche die hohe Stadt im Schatten des grossen Waldes bedachten. Der Mond übergoss die kunstvoll gestalteten Bauten, die Blumengärten und kleinen Brunnen, welche in der Talsohle ausgebreitet lagen und sich bis in die Hügel hinauf zogen, mit seinem silbrigen Schein. Die war also Elboria, schweigend unter nächtlichem Schleier, in stillem Glanz.

Ylenavei, der jungen Waldläuferin, welche noch keine Stadt zu Gesicht bekommen hatte - abgesehen von dem kleinen Hafenort auf dem Festland Faeruns, in dem ihre Seereise nach Amdir begonnen hatte - erschien sie dennoch überwältigend. Dieser Ort, welcher in der Senke zu ihren Füssen im Mondlicht schimmerte, sollte also Ylenaveis neue Heimstatt werden. Die junge Waldelfe brannte darauf, dieses Juwel der Insel Amdir zu erkunden, obgleich der nahe Wald sie mit weitaus vertrauterer Stimme rief.

Vor Wochen war Ylenavei zur bisher längsten Reise ihres Lebens aufgebrochen, welche sie aus der Heimstatt ihrer Familie im Schutze des Hochwalds fort und in jenes Hafendorf geführt hatte, in welchem sie auf dem Schiff eines erfahrenen Handelskapitäns einen Platz für die Überfahrt nach Amdir gefunden hatte. In dieser Nacht nun hatte die Seereise an den Ufern der Insel ihr Ende gefunden. Amdir, die Insel der Hoffnung. Ein grosses, weithin wildes Stück Land, umschlossen von tosenden Wellen, das nun zu Ylenaveis grösster Prüfung werden sollte.

Ihr Vater hatte die junge Waldläuferin das Wissen und Können eines Waldläufers gelehrt, einschliesslich all dessen, was man benötigte, um Pfeil und Bogen stets in gepflegter Ordnung zu halten. Doch hatte Vater immer betont, dass das wahre Lernen erst dann beginne, wenn Wissen und grundlegende Fertigkeiten die wahre Schulung von Geist und Sinnen erst ermöglichten. Die wahre Schulung von Geist und Sinnen, das bedeutete, das unter Anleitung im Kreise der Familie gelernte Handwerk eigenständig in unbekannter Umgebung anzuwenden und das Wissen durch Erfahrung zu vervielfachen. Und zu überleben, wie die Älteren des Clans es immer wieder zu betonen liebten.

Ylenavei wusste, dass ihr unstillbarer Erkundungsdrang und die daraus resultierenden grossen und kleinen unglücklichen Zwischenfälle Mutter dazu bewegt hatten, all ihren Einfluss geltend zu machen, um die Insel Amdir einerseits und Elboria andererseits zum Orte ihrer, Ylenaveis, Bewährung zu bestimmen. Vater hatte schliesslich beigepflichtet, dass die Insel alles biete, was ein Waldläufer lernen könne, um in Reichen Faeruns zu bestehen. Zudem eröffne die Elfensiedlung die Möglichkeit, mehr über Bau und Beschaffenheit von Pfeil und Bogen zu lernen, als er sie jemals lehren könne...

Und nun lag Elboria gleich einem Garten im Mondschein zu ihren Füssen, dachte Ylenavei und gewahrte halb wie im Traum, dass ihre Füsse sich langsam voreinander setzten, um sie der neuen Heimstatt entgegen zu tragen.

So brachte es die junge Waldelfe unweigerlich ins Stolpern, als sie sich jäh vor fremden Füssen wiederfand. Mit entschuldigendem Blinzeln sah sie empor und fand sich unmittelbar vor einem grossen, wirklich grossen Mann wieder - einem Menschen, ganz ohne Zweifel.

"Verzeiht mein Ungeschick, werter Herr....", brachte Ylenavei nach langen Augenblicken verwirrten Schweigens schliesslich hervor, und erhielt, Kalreshaar sei gepriesen, eine freundliche Antwort. Mehr noch als das, denn der Mensch war auf dem Weg zum Bogner-Meister Elborias, um dort seine Besitztümer bearbeiten zu lassen, und er erklärte sich bereit, die junge Elfe durch die Stadt zu führen und ihr den Weg dorthin zu weisen.

Ylenavei war dankbar für diese glückliche Fügung, so dankbar, dass sie schlicht hinnahm, wie der Mensch sich darüber zu amüsieren schien, eine Elfe durch ihre eigene Stadt zu führen. Er konnte schliesslich kaum wissen, dass sie noch keine Stunde lang auf Amdir weilte und sich Elboria so wenig zugehörig fühlte, wie ein Eichhorn einer baumlosen Ebene. Doch die junge Waldläuferin entschloss sich, die Fügung anzunehmen und dem Bognermeister ihre Aufwartung zu machen, und folgte dem Menschen zwischen den Wundern Elborias hindurch bis in das Handwerkerviertel, in dem hübsch verzierte Häuschen einen grünen Anger mit einem lauschigen Pavillon im Herzen umstanden.

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Nur wenig später fand sie sich hinter einer der hölzernen Eingangstüren in der Werkstatt des Bogners wieder. Meister Nogl'Vreal musterte die junge Elfe mit streng prüfendem Blick. Ylenavei fühlte sich klein und unbedeutend unter diesen wissenden Augen. Sie stand dort für den Wald gekleidet, in schlichtem Tuch und mit ihrer wenigen Habe auf dem Rücken, und strich sich verlegen eine ihrer vielen dunkelgoldenen Haarsträhnen aus dem Gesicht, die sich einfach nicht in eine Ordnung fügen wollten. Gewiss fiel dem Meister ihre sattgrüne Haut ins Auge, welche sie von praktisch allen anderen Bewohnern Elborias, die sie bislang gesehen hatte, unterschied. Mehr denn je fühlte die Waldläuferin sich fehl an diesem Ort. Doch als sie ihre Bernsteinaugen auf den Bogner richtete um seinen Blick zu erwiedern, nickte dieser freundlich und reichte ihr ein glänzendes Schnitzmesser.

"Dies werdet Ihr benötigen, wenn Ihr beabsichtigt, das Bognerhandwerk zu erlernen", sagte er ruhig, "hütet es wohl und folgt dem, was ich Euch lehre. So werdet Ihr erfahren, was ich Euch lehren kann."

Ylenavei nickte ergriffen. Sie fühlte den kühlen, blanken Stahl in ihrer Hand und atmete tief. Sie hatte Elboria auf Amdir erreicht und war Meister Nogl'vreals Lehrmädchen. Der erste Schritt zur Bewährung war gemeistert.
05.09.2011 18:32:39
Aw: Die Bewährung (#51257)
Ylenavei
[b]Erste Schritte - Erstes Straucheln[/b]

Die Lehre bei Meister Nogl'Vreal war wahrlich von Mühsal geprägt. Stunden des Sägens und Hobelns von Holz, des Zermahlens von Kristallen, des Waschens und Spinnens von Pflanzenfasern ermüdeten tagein, tagaus Ylenaveis Geist. Die junge Waldelfe glaubte so manches Mal, die Backsteinwände der Bogenbauwerkstatt würden sie erdrücken. Noch nie zuvor hatte sie sich so viel in einem solchen Haus aufgehalten. So sandte Ylenavei stets ihren Dank an Kalreshaar, wenn der Meister sie ausschickte, um Fichtenholz zu schlagen oder Flachs zu ernten. Diese Aufträge führten die Waldläuferin vor die Tore Elborias an die Bauernfurt, wo die Sonne sie wärmte und der laute Wind erfrischend durch ihre seele wehte.

Es gab Hirsche in der Furt, aus deren Fell sich zu Schleudern verarbeiten liess, während ihr Fleisch über dem Feuer geröstet wohl schmeckte. Ylenavei erprobte ihren ersten selbstgeschaffenen Bogen auf der Pirsch und stellte bald fest, dass er sich so präzise führen liess, dass sich selbst die bissigen Käfer der Furt damit treffen liessen. Die junge Elfe genoss jeden ihrer Ausflüge vor die Stadt und erkundete jeden Tag einen neuen Abschnitt der sich verzweigenden Strassen und Wege.

Wenngleich sie die Rückkehr in die Mauern der Werkstatt jedes Mal bedauerte, fand sich doch ein Anreiz, dort zu verweilen. Meister Nogl'Vreal besass Bücher, welche reiches Wissen über die Insel Amdir und ihre Landstriche sowie über den Bogenbau enthielten. Wann immer sich ein unbeobachteter Moment ergab, blätterte und las Ylenavei in den Bänden, die ebenso von Abenteuern wie von neuen Werkstoffen kündeten. Besondere Aufmerksamkeit erweckte die Beschreibung des dunklen Landstrichs, welcher abseits der Stadt an den grossen Wald grenzte. In diesem Sumpfgebiet wachse, hiess es, trotz allgegenwärtiger Düsternis, eine Holzsorte, welche der Fichte an Stabilität überlegen und dennoch gut zu verarbeiten sei.

Der Sumpf entpuppte sich als stickige, von Dunst und Gestank geschwängerte Senke, welche zu jeder Tageszeit im Schatten schwarzer Schwaden verborgen lag. Selbst mit ihren empfindlichen Elfenaugen vermochte Ylenavei in dieser Finsternis kaum zwei Schritt weit zu sehen. Vor Anspannung bebend tastete sie sich Schritt für Schritt über den weichen, unsicheren Boden voran und wünschte die schwere Holzfälleraxt an ihrem Gurt nach Elboria zurück. Doch schliesslich, als habe Kalreshaar sie geleitet, fand die junge Waldelfe sich vor einem mächtigen Baum wieder, wie das Buch ihres Meisters ihn beschrieben hatte. Sie stützte sich auf ihrem Langbogen ab, um die Axt zur Hand zu nehmen.

Unvermittelt fand Ylenavei sich inmitten eines halben Dutzend wandelnder Skelette wieder. Bei Kalreshaar, dieser Ort war wahrhaftig verflucht! Einen Lidschlag später flog die aufgeschreckte Elfe, die Axt in der einen, den Bogen in der anderen Hand, über den morastigen Grund davon. Die Herrin des Waldes leitete ihre fliegenden Schritte sicher der Furt entgegen, und erst, als das Licht des schwindenden Tages Ylenaveis Antlitz streifte, gewahrte sie, dass die wandelnden Toten ihr nicht aus dem Sumpf hinaus folgten. Was für ein unheiliger Ort!

Die hohe Herrin Kalreshaar schenkte der jungen Waldelfe jedoch erneut ihre Gunst. Wie sie sich zerkratzt, zerschunden und schlammig auf den Heimweg machte, begegnete Ylenavei an der Furt einem alten Trankmischer, welcher eifrig den feinen, weissen Ufersand zusammenschaufelte. Obgleich der Alte sich durch ihr Erscheinen offenbar von seiner Arbeit abgelenkt fand, erwies er sich als freundlich und nebst der Alchemie der arkanen Künste mächtig. Staunend gewahrte Ylenavei, wie ihre Schrammen unter einem prickelnden Zauber verschwanden, ehe neue Kräfte sie gleich dem Licht des vielfarbigen Regenbogens durchströmten.

"Nutzt diese Kraft zur erfolgreichen Jagd, so lange Euch meine Worte in den Ohren klingen", sprach der Alte, und die Waldläuferin glaubte zu spüren, wie es ihn nach Schaufel und Eimer drängte. Ob sie es in dieser Weise magisch gestärkt mit einem Wolf aufnehmen konnte? Nun, das sollte sich feststellen lassen, ermutigte Ylenavei sich selbst und überliess den alten Mann nach ausgiebigem Dank seinem Sand.

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Wolfsfährten führten die junge Elfe bis in die Gehölze vor den Toren Mirhavens, unweit der grossen Ebene, die Andorien geheissen wurde. Die Jagd war erfolgreich. Während Ylenavei einen jungen Wolf aufspürte, gewahrte sie kaum, wie die Worte des Trankmischers in ihren Ohren verklangen. Von ureigener Kraft erfüllt zielte sie sorgfältig und ein Blattschuss beförderte den Wolf fast lautlos zu Boden. Sogleich eilte die Waldläuferin an die Seite ihrer Beute, überzeugte sich von deren Tod und dankte der hohen Herrin für ihr grosszügiges Opfer. Meister Nogl'Vreal, dachte sie, würde ihr zeigen, wie man aus dem Wolfsfell Schleudern fertigte. Gerade, als Ylenavei ihren Pfeil aus dem Leib des Wolfes lösen wollte, gewahrte sie einen scharfen Biss an ihrer Ferse.

Ein Hase?! Erschrocken fuhr die junge Waldelfe zurück, nachdem sie den Angreifer instinktiv ein Stück beiseite getreten hatte. Der Hase jedoch ergriff nicht die Flucht, wie sie es eigentlich erwartet hätte, sondern grub die Pfoten in den Boden und fixierte die Elfe mit starrem Blick, ehe er sich erneut auf ihren Stiefel stürzte. Im Zurückstolpern gewahrte Ylenavei, wie eine weitere Handvoll Hasen aus verschiedenen Richtungen heranstürmte. Rachsüchtige Hasen? Empfand die Herrin das Opfer des Wolfs als solches Unrecht, dass sie in dieser Weise aufbegehrte? Oder waren die Tiere tollwütig? Verunsichert und von schlechtem Gewissen getrieben suchte Ylenavei die Hasen zu vertreiben, doch griffen diese nur noch entschlossener an.

Aufseufzend brachte die junge Waldelfe ihren Bogen in Position, wich weiter zurück, legte einen Pfeil auf die Sehne. Kalreshaar sehe es mir nach...

Kurze Zeit später lag ein halbes Dutzend Hasenleiber neben einem knisternden Feuer, über welchem ein kleines Holzgerüst darauf wartete, der Herstellung von Rauchfleisch zu dienen.

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Vielleicht war es diese unterschwellige Verzweiflung, welche gleich einem drohenden Unwetter über den Jagdgründen vor Mirhaven hing und die Hasen in solch sinnlose Raserei trieb, die Ylenavei dazu bewegte, dem zwielichtigen Fährmann Gehör zu schenken, der sich an den Küsten Amdirs herumtrieb. Der Mann wirkte düsterer als Kapitän Pitt, der Handelsschiffer, geradezu verschlossen. In verschwörerischer Weise raunte er der jungen Waldelfe zu, er kenne eine Insel, welche wahrhaft gute Jagd böte, frei von beunruhigendem Verhalten von Tieren, die sich blindwütig vor einen feindlichen Bogen stürzten.

Von der eigenen Neugier getrieben liess Ylenavei sich einen guten Teil ihres Lehrgeldes für eine Überfahrt auf ebendiese Insel abnehmen. Der Steg, an welchem der zwielichtige Fährmann landete, grenze an ein karges, von Ruinen übersähtes Eiland, welches merkwürdig, sehr merkwürdig still dort lag. Verwirrt sah die junge Elfe erst auf die Ruinen, dann zurück auf das Boot am Steg - es war verschwunden. In welch seltsame Geschichte war sie nun geraten?

Die Stille, welche diesen Ort in festem Griff hielt, war beklemmend. Keinen anderen Weg wissend, wagte Ylenavei sich vorsichtig, Schritt für Schritt an Land und zwischen die Ruinen. Kein Wind war zu spüren, der die wenigen Grashalme hätte wiegen können, und nicht ein Insekt oder anderes Tier regte sich zwischen den verfallenen Mauern. Der ganze Ort schien in verstörender Weise tot... Soeben fragte die junge Waldläuferin sich, worin hier eine gute Jagd bestehen mochte, da riss ein plötzlicher Erdstoss sie nahezu von den Füssen.

Eine kaum greifbare, doch um so nagendere Kälte kroch in sie hinein, kaum dass Ylenavei zum Gleichgewicht zurückgefunden hatte. Hastig sah sie sich um, nach Orientierung heischend. Da löste sich eine schemenhafte, bleiche Gestalt aus den Ruinen, dort noch eine, und dort drüben... Die Kälte schnitt in ihr Herz, als die junge Elfe begriff, dass dieses Gefühl von den Geistern ausging, welche langsam, doch zielstrebig in ihre Richtung schwebten.

Ebenso unvermittelt wie der Erdstoss zuvor zerriss ein gleissender Strahl die Luft vor ihren Augen und schlug in die Brust des nächsten Geisterwesens. Ylenavei sah hastig um und erspähte eine weitaus menschlichere Gestalt, die Hände zu einer neuen Beschwörung erhoben. Mit einem Aufschrei warf die Waldelfe sich zu Boden, als sie den angeschlagenen Geist nun direkt hinter sich erahnte. Ein weiterer Energiestrahl raste knapp über ihren Kopf hinweg. Ylenavei blieb bebend liegen, bis etwas an ihrer Schulter zupfte und eine Frauenstimme direkt an ihrem Ohr erklang.

"Verzeiht, ich habe Euch in dem Aufruhr mit dem Feind verwechselt..." Eine dunkelhaarige, grosse Frau stand dort, bereit, ihr aufzuhelfen. Ihre Retterin entpuppte sich als waschechte Hexe, die sich Eowade nannte und ihr sogleich versicherte, dass die Geisterwesen vernichtet seien - vorerst. Ylenavei pflichtete der Hexe dankend bei, dass diese Gegend wahrhaftig kein Ort für eine junge, unerfahrene Waldläuferin sei. Doch kaum hatten sie sich einander vorgestellt, bebte der Boden erneut und die nagende Kälte kehrte zurück.

"Bleibt stets in Bewegung, während ich uns den Weg zum Anleger frei mache, und meidet jeden Kampf", rief Eowade und setzte zu einem weiteren Zauber an. Die verschreckte Elfe tat, wie ihr geheissen, und stellte rasch fest, dass die Geisterwesen zu langsam waren, um sie im vollen Lauf einzuholen. Einige wilde Haken und energetische Explosionen später fühlte Ylenavei Holz unter ihren Füssen und hielt atemlos inne. Erleichtert gewahrte sie, dass die Geister verschwunden waren - und die Hexe ebenfalls.

Zwei erregt streitende Stimmen drangen in ihre Wahrnehmung vor, und Ylenavei wandte sich zum Wasser um. Nur wenige Schritt entfernt lag das Fährboot, und ein alter Mensch, auf einen Gehstock gestützt, befand sich mit dem Fährmann in einem lautstarken Streit.
07.09.2011 10:17:23
Aw: Die Bewährung (#51308)
Ylenavei
[b]Mortem[/b]

"Eine Unverschämtheit! Von ganz schlechten Manieren zeugt das, mich an einem solch gottverlassenen Ort auszusetzen!", ereiferte sich der Alte. Der Fährmann hatte abwehrend die Hände erhoben und erwiederte etwas der Art, er habe sich bloss an die getroffene Vereinbarung gehalten. Dies jedoch schürte den Zorn des älteren Menschen nur noch mehr, und es war Ylenavei, als hätte der Fährmann plötzlich mehr Respekt vor ihm, als man einem alten Mann am Stock im Allgemeinen zollen würde.

Ob dies auch ihr, der verirrten Waldläuferin, einen Weg fort von dieser verfluchten Insel eröffnen würde? Sie trat näher an die Streitenden heran. Beide sahen auf, als die Planken des Stegs unter Ylenaveis Schritten knarrten.

"Oh, noch ein Opfer dieses betrügerischen Halsabschneiders, was?", rief der Alte kaum überrascht aus. "Hat er Euch in ebenso dreister Weise auf diesem Felsblock ausgesetzt?"

Die junge Elfe nickte zaghaft. "Er versprach mir eine gute Jagd...und ehe ich mich versah, fand ich mich hier wieder. Die gnädige Kalreshaar sandte eine Hexe über meinen Weg, welche mir den Weg aus den Ruinen hierher zurück bahnte."

Sie fühlte sich von den schaften Augen des alten Mannen gemustert. Sein Blick verkündete stumm, was Eowade zuvor im Zuge des Kampfes laut ausgesprochen hatte. Dies hier war wahrhaftig kein Ort für eine unerfahrene junge Elfe. Mit einem verdrossenen Murren wandte sich der Alte erneut dem Fährmann zu. "So seht zu, dass Ihr uns beide auf schnellstem Wege von hier fortbekommt!"

Zutiefst dankbar folgte Ylenavei ihrem Retter auf das Fährboot, sobald der Fährmann mit einem zerknirschten "Wenn der Herr denn unbedingt wünschen" den Weg freigegeben hatte. Das stete 'klack-klack' des Gehstocks des Alten folgte ihr auf dem Fuss.

"Mortem ist mein Name", stellte der betagte Mensch sich vor, als die junge Elfe darum rang, in Ermangelung einer passenden Anrede ihren Dank zum Ausdruck zu bringen.

"Und der meine lautet Ylenavei", erwiederte sie, und während das Boot auf die stille See hinausglitt, erzählte sie ihrem Retter von ihrer Reise nach Amdir, ihrer Lehre bei Meister Nogl'Vreal und ihrem unbezähmbaren Erkundungsdrang, der sie schliesslich in ihre missliche Lage auf der Geisterinsel gebracht hatte.

Aufmerksam hörte der alte Mortem zu und nickte immer wieder. "Den Bogenbau lern Ihr also", sagte er schliesslich, als die Küste Amdirs endlich näher rückte, "interessant. Wie ich hörte, fertigt Euereins nebst Schusswaffen auch magische Stecken. Wäret Ihr vielleicht bereit, einem alten Mann zu einem neuen Gehstock zu verhelfen? Sagen wir, aus Wehrholz?"

Die junge Bogenbauerin sah den Alten überrascht an. "Wehrholz? Mein Herr, ich bin erst seit wenigen Tagen Meister Nogl'Vreals Schülerin! Er würde mich niemals mit solch kostbarem Holz arbeiten lassen!"

Mortem wirkte enttäuscht, schien diese Offenbarung jedoch dankbarerweise gelassen hinzunehmen. "Nun", gab er zurück, "meint Ihr das wirklich? Dann werde ich in Elboria nach Euch Ausschau halten, wenn Ihr soweit seid."

Das Boot erbebte, als es an an den Steg stiess. Noch einmal für ihre Rettung von der unheimlichen Insel dankend nahm Ylenavei Abschied von Mortem, und während das Klack-Klack seines Stabs entfernte, wandte sie sich Elboria und der wartenden werkstatt zu.

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In den drückenden Wänden der Werkstatt liess der Gedanke an Mortem und seinen Auftrag die junge Elfe nicht los. Das Funkeln in seinen Augen, als sie den Alten über den Stand ihrer Lehre aufgeklärt hatte, bewegte Ylenavei dazu, immer und immer wieder über Wehrholz nachzudenken. Schliesslich, als Meister Nogl'Vreal mit einer Arbeit an der Werkbank beschäftigt war, nahm sie das Buch der Hölzer zur Hand und blätterte darin, weiter, als der Meister ihr bislang zu lesen aufgetragen hatte.

Im Prinzip, so dachte das Lehrmädchen bei sich, war die Bearbeitung dem Umgang mit Fichtenholz sehr ähnlich, ebenso, wie auch die weiteren Zutaten vergleichbar waren. Vielleicht war dies der Grund, weshalb der Meister die Seite, welche das natürliche Vorkommen dieser Dinge beschrieb, herausgerissen hatte. 'Ich bin gewiss nicht der erste neugierige Lehrling', dachte Ylenavei schmunzelnd bei sich. Doch was, wenn sie jemand anderen fand, der um diese Vorkommen wusste, oder die Dinge sogar irgendwo erwerben konnte... war nicht unlängst ein fahrender Händler nach Elboria gekommen? Einem Entschluss folgend schloss die Waldelfe rasch das Buch und schlich auf leisen Sohlen aus der Werkstatt.

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Eine Stunde später vermochte Ylenavei ihr Glück kaum zu fassen. Der fahrende Händler hatte sich tatsächlich bereit erklärt, ihr nebst Wehrholz auch eine Hand voll minderwertiger Rubine und ein grosses Bündel Baumwolle zu überlassen, wenn sie ihm im Gegenzug das ein oder andere Werkstück auf seine Weiterreise mitgeben würde.

Ihre Erregung mühsam im Zaum haltend spähte die junge waldelfe durch das Fenster zur Werkstatt. Meister Nogl'Vreal war mit der Bestandsaufnahme beschäftigt. Während er seine Rohsteine zählte, würde nicht viel Aufmerksamkeit für sein Lehrmädchen bleiben. So trag Ylenavei leise ein. Wie erwartet genügte dem Meister ein leichtes Nicken als Gruss, und sie fand sogar Gelegenheit, ihre Einkäufe hinter der grossen Werkbank verschwinden zu lassen.

Wenig später, als sie sich verstohlen darum mühte, Baumwollfasern aus dem grossen Gerbebottich in der Ecke zu ziehen, fuhr Ylenavei in ihrer Anspannung beinahe zusammen, als die werkstatttür sich knarrend öffnete. Ein charakteristisches Klack-Klack liess sie jedoch gewahr werden, dass dies eine neuerliche nur all zu glückliche Fügung darstellte. Die junge Elfe spürte ein helles Lächeln über ihr Gesicht fluten, als sie sich umwandte, um den alten Mortem zu begrüssen.

Stolz präsentierte sie ihm die Baumwollfasern in ihren Händen, nachdem Mortem ihren Meister begrüsst und ihr zum Bottich gefolgt war. "Dank einem günstigen Handel mag ich tatsächlich versuchen, Euch einen Wehrstecken anzufertigen", sprach sie leise, und warf einen raschen Blick in Richtung ihres Meisters. "Doch Meister Nogl'Vreal sollte es nicht wissen", fuhr sie verschwörerisch fort, "er gab mir noch nicht seinen Segen zur Arbeit mit solchen Materialien."

Zu Ylenaveis Erleichterung schmunzelte Mortem schlicht und versicherte, dass der Meister es garnicht zu erfahren brauche. Mehr noch als das, denn der Alte schlurfte sogleich zurück an Nogl'Vreals Verkaufstresen und verwickelte den Meister in ein angeregtes Gespräch über Magie und Bogenbaukunst. An diesem Tag war es wahrlich ein Segen, einen in jedem Punkt bedächtigen Elfen zum Meister zu haben. Nur ein solcher besass die Gelassenheit, sich stundenlang über Kunsthandwerk und arkane Studien auszutauschen und dabei keine mögliche Vertiefung einer Thematik mit Hast zu übergehen.

Der alte Mortem hingegen genoss Ylenaveis höchste Bewunderung dafür, dass er
die unendliche Gesprächsbereitschaft des Elfenbogners so lückenlos und geduldig zu bedienen wusste. Nur ein einziges Mal löste er sich vom Tresen, begutachtete die Arbeit des Lehrmädchens, legte ihr eine Hand auf die Schulter, und Ylenavei spürte ein belebendes Kribbeln, welches sie an ihre Begegnung mit dem sandschaufelnden Tränkemischer erinnerte. "Es war mir ein Bedürfnis", kommentierte Mortem schlicht, ohne dass zu erkennen war, an wen dieser Satz gerichtet war, und kehrte zum Gespräch mit Nogl'Vreal zurück.

Das belebende Perlen in ihren Adern, welches ihr jeden Handgriff so einfach erscheinen liess, inspirierte die junge Bognerin zu einem eleganten Schlangenmuster, welches sie in den rohen Stab in ihren Händen ritzte und mit einer Einlage aus von Rubinstaub rötlich funkelnden Baumwollschnüren versah. Als sie das fertige Werk nach all den Arbeitsstunden stolz betrachtete, fühlte sie, selbst überrascht, dass diesem Stecken mehr innewohnte als es bei einem blossen Stück Holz der Fall gewesen wäre. Ob es dies war, was Meister Mortem einen Wehrholz-Stab begehren liess?

Der Bogner hatte sich inzwischen in seine Rechnungsbücher vertieft, und Ylenavei präsentierte ihrem Kunden mit hoffnungsvollem Lächeln ihre Arbeit. Der alte Mortem bewunderte den Stecken mit schmeichelnden Worten, schien jedoch nicht wirklich überrascht von ihrem raschen Erfolg. Als ob er gewusst hätte, dass ihr Geschick der jungen Elfe erlauben würde, mehr zu schaffen, als Meister Nogl'Vreal ihr zugestand. Dabei kannte Mortem sie doch kaum - oder etwa doch? Der Anblick des Alten, der höchst zufrieden lächelnd die Festigkeit seines Stabes prüfte, verscheuchte die Gedanken aus Ylenaveis Geist und liess sie strahlen.

Des Nachts jedoch, als ihr Meister sich zur Ruhe zurückgezogen hatte, begann die junge Bognerin mit der Arbeit an einem Langbogen aus den Überresten des edlen Materials.
09.09.2011 09:03:59
Aw: Die Bewährung (#51376)
Ylenavei
[b]Ein Ritter aus Leidenschaft[/b]

Summmm. Gleich einem leisen Glockenton mischte sich das Summen der Bogensehne in das sanfte Rauschen des Mondbrunnens. Ylenavei sass auf einer Bank am Rande des kleinen Wasserspiels, welches von einer silbern leuchtenden Kugel gekrönt wurde, um derentwillen die junge Waldelfe dem Brunnnen seinen Namen gegeben hatte. Das Licht des Mondbrunnens beschien den Langbogen in ihren Händen, dessen blaue Oberfläche am Rand jedes Schattens entlang rötlich schimmerte. Ihr erster Bogen aus echtem Wehrholz, dachte die junge Bognerin voll Stolz, und er würde sie auf die Jagd begleiten. Summmm. Wieder liess Ylenaveis schlanke grüne Hand die Sehne singen, als unvermittelt ein grosser Schatten das Licht des Mondbrunnens verdrängte.

Ihre Gedanken fahren lassend sah Ylenavei auf. Direkt vor ihren Füssen ragte ein grosser, wirklich grosser Mann auf. Hoch droben rankte sich der Schein des Mondbrunnenlichts um dunkles, nach hinten gebundenes Haar, welches ein junges Gesicht umrahmte, das in sichtlicher verlegenheit auf die junge Waldelfe hinuntersah. Der Mensch trug eine Art schlichter, grauer Uniform und räusperte sich, ehe er schliesslich zu Worten fand.

"Verzeiht mir, werte Fürstin des schönen Volks, ich habe Euch nicht stören wollen. Doch vielleicht vermögt Ihr mir einen Rat zu geben, wo ich Hilfe finden kann..."

Erst jetzt gewahrte Ylenavei den zerbrochenen Bogen, den der Mensch etwas hilflos in Händen hielt.

"Ich denke, ich erahne bereits, nach welcher Art Hilfe Ihr sucht", hörte sie sich lächelnd antworten und erhob sich von der Bank. Der Mensch, immernoch ein gutes Stück grösser als sie, sah mit vor unverhohlenem Staunen weiten blauen Augen auf sie hinab. Sein Gesicht war von einer auffälligen Narbe gezeichnet, welche ihm den freundlichen, beinahe jungenhaften Ausdruck jedoch nicht zu nehmen vermochte.

"Mein Gesuch gilt einem der fähigen Bogenbauer Eures Volkes, schöne Fürstin, in der Hoffnung, er möge mir hiermit helfen." Der Mann zeigte ihr die beiden Hälften seines rettungslos zerbrochenen Bogens.

"Nun, es scheint, als leiteten die Götter Eure Schritte ohne Umschweife ans Ziel, werter Herr", sagte Ylenavei nun doch ein wenig schüchtern, "Ich kann Euch zu meinem Meister Nogl'Vreal führen, oder, wenn Euch die Kunst eines Lehrmädchens genügt, gleich selbst helfen." Nach kurzem Zögern setzte sie noch hinzu: "Denn ein Bogner-Lehrling bin ich, und die 'Fürstin' steht mir wahrlich nicht zu."

Als die junge Elfe ihr Lehrfach erwähnte, hellte sich das Gesicht des Menschen unvermittelt auf, und begleitet von einer galanten Verbeugung und zahllosen Gesten der Ehrerbietung versicherte er ihr überschwänglich, dass nicht nur die fürstliche Anrede ihrer Schönheit und Anmut kaum gerecht werde, sondern dass er sich ebenso ohne Umschweife ihrer Bogen-Baukunst anvertrauen wolle.

Während Ylenavei angesichts all dieser Aufmerksamkeit leicht errötete, stellte sich der Mensch als Rivan vor und erkundigte sich, ob sein Bogen vielleicht doch noch zu retten sei, da sein Sergeant bei den Silberwächtern von Mirhaven gewiss ungehalten wäre, würde er ohne die Waffe in seine Garnison zurückkehren. Es tat der jungen Bognerin fast leid, ihm seine Hoffnungen nehmen zu müssen, doch leistete ihr neuer Wehrbogen ihr nun beste Dienste, um Rivan mit dem Gedanken an eine neue Waffe vertraut zu machen. zu schade, dass sie das übrige Wehrholz bereits für die Gegenleistung an den fahrenden Händler verbraucht hatte!

Von Rivans Bewunderung und zahlreichen Komplimenten bewegt berichtete Ylenavei dem Silberwächter schliesslich, was sie bei der Lektüre von Meister Nogl'Vreals Bücher über ein Holz in Erfahrung gebracht hatte, welches noch mächtiger und stabiler sein dürfte als das Wehrholz. Die Bäume, welche solches Holz schenkten, wüchsen tief in jenem finsteren Sumpf, an den sie nicht ohne Schaudern zu denken vermochte. Rivan wirkte jedoch sofort begierig darauf, nach diesem Holz zu suchen, und selbst Ylenaveis Beschreibung wandelnder Skelette und ewiger, dunstgeschwängerter Finsternis vermochten ihn nicht abzuschrecken.

Nun, ein Silberwächter war gewiss ein kampferprobter Recke, der mit den unheiligen Sumpfkreaturen fertig zu werden wusste. Und womöglich war dies eine Möglichkeit unter Beweis zu stellen, dass sie dem überschwänglichen Vertrauen, welches Rivan in ihre Fähigkeiten als Führerin in der Wildnis setzte, gerecht werden konnte. So nickte Ylenavei nach einigem Zögern zustimmend, und mit der aufwallenden Unternehmungslust stahl sich ein keckes Lächeln auf ihre Lippen.

"Lasst mich rasch ein Beil und meinen Köcher holen, dann mögen wir aufbrechen, so lange die Nacht dem Jäger ein bergender Mantel ist."

Nur wenig später traten Ylenavei und Rivan Silberwächter gemeinsam vor die Tore Elborias und sahen erwartungsvoll in die schwindende Nacht hinaus.

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Der Sumpf war wahrlich finster und von widerlichem Gestank geschwängert. Schwer atmend blinzelte die junge Waldelfe durch die allgegenwärtigen Dunstschwaden in die Dunkelheit. Nicht einmal ihre an schwaches Licht angepassten Elfenaugen vermochten hier weiter als einige wenige Schritt zu sehen. Vorsichtig tastete sich sie Fuss für Fuss über unsicheren, schwammigen Boden und suchte, sich nicht von den wiederholten leisen Flüchen des Menschen ablenken zu lassen. Rivan war, wie Vater die Menschen beschrieben hatte, von Ungestüm und Eile getrieben, doch schien er darauf erpicht, nein geradezu versessen, alles nur Erdenkliche für ihre, Ylenaveis, Sicherheit zu tun. Jedoch war fraglich, inwieweit seine wiederholten schmatzenden Schritte in den Morast diesem Ansinnen wirklich förderlich waren.

Endlich, endlich glaubte die junge Waldläuferin, ihre Umgebung wiederzuerkennen. Etwa drei Dutzend Schritte voraus ragte der Schatten eines mächtigen Baumes aus den Dunstschwaden auf. "Dort drüben beginnt der Steg...", setzte sie erleichtert an und deutete auf den Baum, bereute diese Geste jedoch sofort. Mit gezogenem Schwert stürmte der Silberwächter in vollem Lauf an ihr vorbei und auf das schattenhafte Gewächs zu. "Wartet...!", rief Ylenavei noch, doch es war zu spät. Als sie selbst ihren Schritt beschleunigte, sah sie Rivan bereits von einem halben Dutzend wandelnder Skelette umringt, die wie aus dem Nichts erschienen waren.

Die Waldelfe hob ihren Bogen empor, gewahrte jedoch schon beim ersten Schuss, dass Pfeile diese widernatürlichen Kreaturen kaum aufzuhalten vermochten. Rivan hingegen schwang sein Schwert wie ein Wirbelwind, und Knochensplitter stoben um ihn herum, sodass Ylenavei erst wagte, sich ihm zu nähern, als der wilde Kampf vorüber war. "Beim Grün der Bäume, seid Ihr wohlauf?", wandte sie sich dem Silberwächter atemlos zu, der inmitten von weisslichen Trümmern stand und leise grollte.

"Was für ein unheiliger Ort..als wären sie direkt aus dem Boden gefahren!" Als sein Blick den der jungen Waldläuferin traf, füllten sich seine Augen mit jäher Besorgnis, und in seinem Eifer, sich von ihrer Unversehrtheit zu versichern, schien er ihre Frage völlig zu übergehen. Ylenavei nahm dies und Rivans Bereitschaft, umgehend weiterzugehen, als Zeichen, dass es ihm gut ging. So folgte sie dem Menschen vorsichtigen Schrittes in Richtung des Stegs und gewahrte erleichtert, dass er nun mit grösserer Vorsicht voranging, wenngleich ein guter Teil seiner Aufmerksamkeit nach wie vor darauf verwandt sein mochte, die Schärfe ihrer elfischen Sinne zu loben.

"Es nimmt mich Wunder, wie Ihr hier einen einzelnen Baum finden könnt...", sagte Rivan gerade, als sie den hölzernen Steg betraten, welcher tief in den Sumpf führte. Ylenavei fragte sich insgeheim selbst, wie sie das zu vollbringen gedachte, und kam zu dem Schluss, dass die hohe Dame des Waldes sie schon an ihr Ziel führen würde. So ahnte die junge Waldelfe ven Standort des gesuchten Baumes in den Tiefen des Sumpfes, weitab vom sicheren Steg, ohne wirklich darum zu wissen. Also führte sie den Silberwächter tiefer hinein in die schwammige Finsternis und hoffte, sie mochte recht behalten.

Der allgegenwärtige Gestank lag drückend auf ihren Lungen. Ylenavei versuchte vergeblich, das Brennen aus ihren Augen fortzublinzeln. Inmitten des dunklen Sumpfes war es geradezu unnatürlich still. Ein Schritt, vorsichtig, und noch einer. Die junge Elfe blinzelte erneut. Dort, vielleicht dreissig Schritt voraus, hing ein grosser Schatten zwischen den Dunstschwaden. Ihr Herz tat einen Sprung, und schon lagen drei weitere Schritte hinter ihr. Der Schatten hatte die plumpe, skelettartige Struktur hängender, bis zum Boden reichender Äste. Wie in der Beschreibung in Nogl'Vreals Buch schien sich der Baum mit seinem Astwerk auf dem sumpfigen Grund abzustützen.

Ein Lächeln stahl sich auf Ylenaveis Lippen, als sie gewahrte, dass der Boden vor ihr fester war als ringsumher. "Folgt mir", wandte sie sich an ihren Begleiter, "wir sind gleich am Ziel." Gemeinsam schritten sie die kleine, feste Insel im Sumpf entlang, getrieben von der jähen Aussicht, ihrem Ziel zum Greifen nahe zu sein. Atemlos liess die junge Waldläuferin den Blick über einen gewaltigen Baumstamm gleiten, welcher, umringt von zahlreichen stützenden Ästen, bald einen Schritt durchmessen mochte. Ehrfurcht erfüllte sie, als Ylenavei eine Hand an die uralte, furchige Rinde legte.

Augenblicklich herrschte Kälte. Jäher Schmerz grub sich gleich Dolchen in ihren Leib, raubte ihr den Atem. Ylenavei keuchte verzweifelt, als das Reissen in ihrer Mitte sie zurücktaumeln liess. Die Elfe strauchelte. Das brackige Wasser des Sumpfes taumelte ihr entgegen. Etwas Grünes beugte sich über sie, geifernde Klauen überall. Ein Schrei erstickte in Ylenaveis Kehle. Der Schmerz unter ihren Rippen zerrte ihre Sinne der dräuenden Finsternis entgegen.

Unvermittelt, ehe kaltes Wasser und Bewusstlosigkeit sie verschlangen, fühlte sie festen Halt. Ein Ruck durchlief die junge Waldläuferin. Stahl gegen Fleisch. Zorniges Kreischen. Das Reissen glitt aus ihrem Leib. Hustend und zitternd sackte Ylenavei in die feste Umklammerung, die Sicherheit verhiess. Erneut kam der Boden näher, doch sanft gleitend dieses Mal, und sie spürte Metall an ihrer Wange, welches leicht bebend Halt bot.

Die Waldelfe lehnte an Rivans Brustpanzer. Sie atmete, und ihr Leib begehrte pochend auf. Als ihre Sinne erneut zu schwinden begannen, fühlte sie stumpfes Glas an ihren Lippen. Hilflos schluckte sie, als kühle Flüssigkeit in ihren Rachen rann. Der Schmerz liess nach, und einige Atemzüge später spürte Ylenavei einen kühlen Luftzug über ihren Bauch streifen, als der Mensch vorsichtig ihre zerrissene Rüstung anhob und eine Binde um ihren Leib legte.

"Was...bei Kalreshaar...war das...?", stammelte die junge Elfe noch etwas benommen. Der Silberwächter jedoch war so von der Versorgung ihrer Wunden eingenommen, dass er sich kaum Zeit für eine Antwort nahm. Irgendetwas von verfluchten Kreaturen des Sumpfes murmelte er, und als Rivan seine Erleichterung kundtat, dass sie lebte und bei Sinnen war, glaubte Ylenavei, schmerzlichen Gram in seiner Stimme zu hören.

"Möget Ihr mir nur verzeihen, meine Fürstin, dass ich nicht schnell genug war, Euch zu verteidigen..", setzte der Silberwächter gramerfüllt an. Die junge Waldelfe hob schwach die Hand. "Nein, es ist nicht Eure schuld. Mehr noch, Ihr habt mein Leben gerettet. Ich hätte diese...was immer es auch war... bemerken müssen. Und ich wage es, mich Waldläuferin zu nennen!"

Sanft legte der Mensch ihr einen Finger an die Lippen und schüttelte den Kopf. Er bestand darauf, dass das Unglück seine Schuld sei, und Ylenavei fühlte sich zu müde, um zu streiten. Sie spürte den besorgten Blick, mit welchem Rivan sie musterte. Er hatte recht, als er sagte, sie könne in ihrem Zustand unmöglich Holz fällen. Doch es erfüllte die junge Elfe mit Bedauern, ihr kleines Abenteuer so unmittelbar vor dem Ziel abbrechen zu müssen. Doch was, wenn.... Sie deutete auf das Beil, welches noch an dem Gürtel hing, der neben ihr lag. "Und wenn Ihr an meiner Statt das Beil schwingen würdet...?"

Sofort begeistert halt Rivan ihr, sich an den mächtigen Baumstamm im Herzen der Stützäste zu lehnen. "Schlagt eine dieser schlankeren Stützen heraus. Dies wird weder das Leben noch das Gleichgewicht des Baumes in Gefahr bringen", wies Ylenavei den Menschen an. "Ich werde mein Bestes geben, wenn ich Eure wunderbaren Sinne meinen Rücken bewachend weiss." Die junge Elfe lächelte tapfer, doch sobald Rivan sich dem angewiesenen Holz zuwandte, lehnte sie sich schwer seufzend an den Stamm zurück.

Der Sumpf lag still und friedlich da, wenngleich die drückende Düsternis nicht gewichen war. Dunstschwaden zogen zwischen den seltsamen Stützpfeilern des grossen Baumes hindurch, als hätte keine Bewegung sie in den letzten hundert Jahren je durchschnitten. Das dumpfe Poch-Poch der Axt war das einzig Lebendige, was dieses totengleiche Schweigen durchdrang. Das regelmässige, kaum spürbare Beben, welches mit jedem Axtschwung den Baum durchlief, kam einem Puls gleich, einer stetig wiederkehrenden Erinnerung an eine Insel der Geborgenheit im ewigen Dunkel. Ylenavei gewahrte nicht, wie ihre Sinne nach und nach dem geschundenen Leib entglitten.

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Als sie aus der Entrückung erwachte, stützte Rivan sichtlich stolz das Beil auf einen Stapel sauber entzweigter Rundhölzer. Die junge Waldelfe spürte sich erröten, als ihr gewahr wurde, dass sie während der Wache eingeschlafen war, wie Rivan es gewiss bezeichnen würde. Das dumpfe Pochen unter ihren Rippen erinnerte sie jedoch jäh an die zurückliegenden Geschehnisse. Schnell kamen sie beide überein, dass sie einen Priester aufsuchen sollte. Die Diener der Seldarine in Elboria mochten am ehesten wissen, welche widernatürlichen Gefahren dieser Sumpf bergen mochte. Der Mensch erklärte sich umgehend bereit, das Holz zu tragen, und tapfer beharrte Ylenavei darauf, selbst zu laufen. Selbst wenn Rivan sowohl sie als auch das Holz hätte tragen können, so bestand keine Sicherheit, dass der Sumpf unter diesem Zusatzgewicht seine Stiefel tragen würde.

Der Weg durch die drückende Dunkelheit schien der jungen Elfe ewig lang. Ihr Langbogen bot ihr spärlichen Halt, wenn der geschundene Leib ihr das Ausbalancieren der im Morast strauchelnden Füsse verwehrte. Rivan, in voller Rüstung und mit dem Holzbündel auf dem Rücken, sank mit jedem Schritt mindestens einen halben Fuss tief in den Schlamm. Dennoch glaubte Ylenavei in seinem Blick zu sehen, dass er sie, ginge es nach ihm, liebend gern gestützt, wenn nicht gar getragen hätte. Die erschöpfte Waldläuferin hörte sich bald ebenso laut vor Erleichterung seufzen wie den Menschen, als sie den hölzernen Steg erreichten, welcher ein wenig mehr festen Grund versprach. Dennoch verboten die feuchtglatten Balken jedes zusätzliche Gewicht auf Rivans Füssen.

Es schien Ylenavei einem Segen der hohen Dame Kalreshaar gleich, als sie zwischen schwarzen Bäumen hervorstolperte und ein warmer Sonnenstrahl über ihr Gesicht strich. Der verfluchte Sumpf lag endlich hinter ihnen. Sie hörte, wie Rivan neben ihr das Holz zu Boden sinken liess. Sie rasteten mitten auf der Strasse, den finsteren Morast im Rücken. Der Silberwächter bot ihr frische Beeren an, und Ylenavei ass davon, ohne sie recht zu schmecken. Den anschliessenden Weg nach Elboria ging sie trüben Sinnes, einen Schritt nach dem Anderen. Später entsann sie sich nur schemenhaft, wie Rivan sein Holzbündel den Torwachen von Elboria überliess, wie er sie das letzte Wegstück zum Tempel stützte, wie er sie voll des Bedauerns an die Priester übergab, welche keinen Menschen in ihr Heiligtum einlassen würden. Erst der erfrischende Segen aus den Händen eines heilkundigen Dieners der Seldarine klärte ihren Geist.
13.09.2011 06:56:47
Aw: Die Bewährung (#51508)
Ylenavei
[b]Kostbare Verbündete[/b]

Leise strich der Wind über die grüne Anhöhe, wiegte das Gras, zog über das edle Bärenfell, welches wärmend über Ylenaveis Schultern lag. Der Mantel schien wie für die junge Elfe geschaffen, eine zweite Haut, ebenso wie das Kettenhemd, das sich federleicht um ihren Leib schmiegte. Rivan hatte ihr beide Stücke zum Geschenk gemacht, nachdem Ylenavei, sich von den körperlichen Spuren ihrer gemeinsamen Sumpf-Erkundung erholend, hatte feststellen müssen, dass ihre alte Lederkleidung dringend einer Überholung bedurft hätte. Dem Silberwächter schien nichts gut genug für sie zu sein, weshalb Rivan ihr nicht nur das kostbare Elfenkettenhemd aus seinem Besitz überlassen, sondern ebenso nicht gezögert, seinen Sold für einen Umhang aus bestem Fell hinzublättern.

Ein warmes Lächeln huschte um Ylenaveis Lippen, als sie an den unüberschaubaren Trubel auf dem Freimarkt vor den Toren Mirhavens dachte. Wie verloren hatte sie sich zwischen den zahllosen bunten Gestalten gefühlt, wie erleichtert war sie gewesen, als die Dame des Waldes ihre Schritte so gnädig zu Meister Beldars Stand und unter Rivans Fittiche gelenkt hatte. Beinahe wäre dem Silberwächter so seine Überraschung mit dem Mantel vereitelt worden, aber eben nur beinahe, und ihr ritterlicher Beschützer hatte ebenso glücklich gewirkt, sie bei sich zu wissen, wie Ylenavei glücklich gewesen war, ihn in jenem unübersichtlichen Treiben an ihrer Seite zu haben.

Ebenso empfand die junge Waldelfe jetzt, da sie Rivan neben sich wusste, als sie, bäuchlinks auf dem Kamm der grünen Höhe liegend, auf die Goblins hinuntersah. In den vergangenen Tagen hatten Ylenavei und ihr Ritter viel Zeit auf gemeinsamen Streifzügen verbracht, unter dem Sternenhimmel in den wilden Landen Amdirs oder in den Strassen Mirhavens, wo die Menschen lebten. Auf den Pässen der Winterrache-Berge hatte Rivan der frierenden Elfe seinen Mantel überlassen, und, weil solch ritterliche Gesten ihm selten genug zu sein schienen, womöglich den Gedanken an Meister Beldars Bärenfelle geboren.

Aus der Geborgenheit seiner grosszügigen Gaben und Kalreshaars grünem Schleier heraus beobachtete Ylenavei nun die Goblins, linkische kleine Geschöpfe, die in der Senke unter ihr umherstreiften und grob unter diesem und jenem Stein, in den Schatten grüner Sträucher, oder in Kaninchenlöchern und Felsspalten suchend herumstocherten. Ein missgelaunter Goblin-Schamane scheuchte zwei Schützen mit Kurzbogen und drei Krieger mit Speeren oder langen Messern herum. Ein halbes Dutzend insgesamt.

"Noch ein Spähtrupp", knurrte der Silberwächter leise zu Ylenaveis Rechter, und ihrer Linken liess Aurora ein kehliges Grollen hören. Die junge Elfe lächelte still in sich hinein, als sie die Erregung ihrer treuen Gefährtin spürte.

Welch einen Luftsprung hatte ihr Herz gemacht, als einer der jungen Panther, die sie so viele Stunden beim Spiel in den Schatten der grünen Mutter beobachtet hatte, ihr auf dem Heimweg gefolgt war. Die schwarze Katze hatte, so glaubte Ylenavei, die junge Waldelfe zuweilen aus bernsteingelben Augen angesehen, Augen, die ihren eigenen so ähnlich erschienen. Es war der Waldläuferin gewesen, als erlaubte die Katze stellvertretend für ihre samtpelzigen Geschwister ihr die Anwesenheit, die stumme Teilnahme am Spiel der jungen Tiere. Und schliesslich hatte dieses wundervolle Wesen sich der Elfe genähert, hatte sie als Schwester willkommen geheissen und sie schliesslich aus dem Wald hinaus begleitet. Aurora hatte Ylenavei die junge Pantherdame getauft, nach der Morgenröte, die jenen Glücksmoment mit ihrem Zauber überstrahlt hatte.

Nun schlug Aurora angespannt mit dem Scheif. Obgleich sie Hasen zur Jagd bevorzugte, war die Pantherdame auch gegenüber Goblins nicht abgeneigt - wenngleich sie diese nicht frass.

"Gebt Ihr das Zeichen zum Angriff, schöne Fürstin, und wir schlagen los", raunte Rivan von rechts. Behutsam zog Ylenavei ein Knie unter ihren Leib, hob den Bogen, legte einen Pfeil auf die Sehne. Sie nahm den Schamanen ins Visier. Aus dem Augenwinkel gewahrte die junge Elfe, wie Aurora sprungbereit verharrte. Noch ein Atemzug, dann zog sie die Bogensehne durch. Ihr Pfeil raste der Senke entgegen, dicht gefolgt von einem Zweiten. Auch Rivan führte seinen Bogen, dessen Holz sie gemeinsam dem Sumpf abgerungen hatten. Als der Goblin-Schamane von beiden Pfeilen getroffen taumelte, liess der Ritter jedoch den Bogen fahren, zog sein schlankes Schwert und stürmte den Abhang hinunter, den rennenden Panther auf den Fersen.

Ylenavei legte einen neuen Pfeil auf, während Aurora einem Goblinschützen an die Kehle sprang. Rivan rannte den anderen Schützen regelrecht über den Haufen. Der Pfeil löste sich sirrend von der Sehne der jungen Elfe. Getroffen liess der Goblinkrieger, welcher den Silberwächter eben von hinten zu attackieren suchte, die Waffe fallen. Das wilde Gefecht mit den beiden verbliebenen Goblins war vorbei, noch ehe Ylenavei ein neues Ziel gefunden hatte. Fliegenden Schrittes eilte sie hinunter in die Senke.

"An solch ein Zeichen habe ich nicht gedacht", keuchte Rivan atemlos, "aber sie sind besiegt, und das zählt!"

Lächelnd reichte Ylenavei ihm seinen Bogen. "Das Überraschungsmoment ist ein zu wertvoller Verbündeter, um es durch auch nur ein überflüssiges Wort aufs Spiel zu setzen." Es klang ein wenig altklug, doch Ylenaveis Vater, ein weiser Waldläufer, hatte ihr dies, wie so vieles, immer wieder eingeschärft.

"Fürwahr", murmelte der Silberwächter abwesend und wog seinen Bogen in der Hand. "Dies ist wirklich eine meisterliche Arbeit, meine Fürstin, perfekt ausbalanciert und herrlich schlagkräftig noch dazu."

Die junge Waldelfe errötete angesichts dieses grosszügigen Lobes und hob den Bick an der Bergwand empor. Ein schroffer, nur spärlich bewachsener Steilhang zog sich in die Höhe, und beinahe hätte Ylenavei den schmalen Pfad, der sich zwischen den Felsen emporwand, übersehen. Sie folgte ihm mit dem Blick und atmete hörbar ein, als sie schliesslich einen dunklen Spalt entdeckte.

"Rivan", die Waldläuferin deutete auf die Wand, "ich glaube, dort ist eine Höhle! Ob dies der Hort der Goblins ist?"

Anfänglich war Ylenavei die jäh zunehmende Zahl der Ebenenhasen vor Mirhaven aufgefallen, als sie dort mit Aurora jagte. Die Hasen hatten die junge Elfe bewegt, sich auf die Andorien-Ebene hinauszuwagen und herauszufinden, was die Tiere von dort vor die Stadt treiben mochte. Sie hatte die Goblinrotten gesehen, welche nun anstelle vereinzelter Späher durch die Ebene streiften und sich entschlossen, ihren Freund und Ritter Rivan Silberwächter um Beistand bei der weiteren Untersuchung zu bitten. Der Mensch war sofort Feuer und Flamme gewesen, diese Unternehmung gemeinsam mit Ylenavei und ihrer Panther-Gefährtin anzugehen.

Nun durchkämmten sie gemeinsam die Ebene nach dem Ursprung der Goblins, und die Gunst Kalreshaars mochte sie in diesem Augenblick an ihr Ziel geführt haben. Schon hatte Rivan seinen Bogen geschultert und machte sich daran, den Steilhang zu erklimmen. Aurora sprang leichtfüssig von Fels zu Fels und Ylenavei eilte sich, die beiden einzuholen.

Tief atmend standen sie schliesslich vor dem Eingang, der mit geschätzten zwölf Fuss Höhe aus der Nähe vielfach gewaltiger erschien, als er von unten her gewirkt hatte. Ein unangenehmer, muffiger Geruch wehte ihnen aus dem Dunkel entgegen. Aurora starrte geduckt und mit gebleckten Zähnen in das Dunkel hinein. Ylenavei lauschte, zögerte. Mit einem tiefen Atemzug hob sie nach einer endlosen Minute an: "Nun gut, sehen wir also nach."

Sofort war Rivan im Dunkel verschwunden. Die junge Waldelfe setzte ihm rasch nach, und als sich ihre empfindlichen Augen an die jähe Dunkelheit gewöhnt hatten, fand sie sich in einem hohen, grob behauenen Höhlengang wieder. Ein gutes Dutzend Schritte voraus tauchte eine blakende Fackel eine Tunnelabzweigung in flackerndes Licht. Aus der Tiefe der Höhle drangen dumpfe Geräusche.

"Ganz offensichtlich wohnt hier jemand", sagte Rivan so laut, dass sich das Herz der Waldläuferin unwillkürlich zusammenkrampfte.

"Und dieser Jemand weiss nun sehr genau, dass wir hier sind", brachte Ylenavei tonlos hervor, "habt Ihr den Wert des Überaschungsmoments in der Konfrontation bereits vergessen?"

"Dann suchen wir ihn lieber, bevor der Jemand uns findet", erwiederte der Mensch mit ungebrochenem Selbstbewusstsein noch lauter als zuvor.

Resignierend machte die junge Elfe ihren Bogen schussbereit. Als sie dem Silberwächter in den Gang hinein folgte, hörte sie, dass Aurora sich leise grollend hinter ihr hielt. Rivan spähte gerade in die beleuchtete Abzweigung, als er mit einem plötzlichen Aufschrei bis an die gegenüberliegende Wand zurückprallte. Ihm nach setzte eine gewaltige, hässliche Kreatur, bestimmt zehn Fuss hoch, mit blosser, derber Haut und einem grobschlächtigen, riesigen Gesicht.

In jähem Schrecken liess Ylenavei ihren Pfeil unkontrolliert von der Sehne schnellen. Er fuhr der Kreatur mitten in die gewaltige Wölbung ihres Schultermuskels. Das Ding drehte den Kopf, als sähe es nach einem blossen Fliegenbiss. Rivan nutzte den Augenblick sofort, hob sein Schwert und führte einen schnellen Angriff gegen die Kreatur. Die erwies sich im Geiste als ebenso langsam wie sie am Leibe gross war, sodass ihr mächtiger Abwehrhieb den wackeren Recken verfehlte, seinem Angriff jedoch die Wirkung nahm. Verzweifelt suchte Ylenavei ein neues Ziel, einen Weg, das Riesending mit Pfeilen mehr zu beschäftigen als eine Pferdefliege ihr Opfer, als ein schwarzer Schatten an der jungen Waldelfe vorbeischoss.

Aurora jagte der hässlichen Kreatur zwischen die Beine, biss und zwackte, ehe sie ebenso rasch verschwand, wie sie gekommen war. Das Wesen, vom Blitzangriff des Panthers völlig überfordert, öffnete seine Deckung, um sein Gleichgewicht zu bewahren. Mit einem lauten Kampfschrei rammte Rivan sein Schwert bis zum Heft von unten in den entblössten Brustkorb. Die Kreatur fiel mit einem dumpfen 'Rumms'.

"Verdammte, stinkende Oger!", rief Rivan keuchend aus, als er sein Schwert aus dem toten Körper zog.

Wahrhaftig ein Oger! Rasch eilte Ylenavei an die Seite ihres Ritters. "Beim Grün aller Bäume, seid Ihr wohlauf?"

Rivan lächelte, während er seine Klinge abwischte, und die junge Elfe spürte, wie die Wärme der Erleichterung sie durchströmte. "Zu meinem Wohl genügt mir, dass es Euch gutgeht, meine Fürstin."

"Dann solltet Ihr keinen solch kostbaren Vorteil wie das Überaschungsmoment in künftigen Kämpfen leichtfertig verspielen", platze es aus Ylenavei heraus. So glaubte sie, die menschliche Kampftaktik weniger denn je zu begreifen, als der Silberwächter hilflos die Hände samt Schwert hob.

"Wer konnte denn ahnen, dass in dieser Höhle Oger leben?"

"Geht beim nächsten Mal davon aus, dass etwas noch grösseres darin lauert als Oger. Dann bleibt der Vorteil sicher auf Eurer Seite."

Dies war ebenfalls eines der Dinge, welche Ylenaveis Vater die junge Waldläuferin gelehrt hatte. Bei Rivan bewirkte diese Belehrung jenes Lächeln, das sein gezeichnetes Gesicht so unschuldig jungenhaft wirken liess, und er versicherte ihr hingebungsvoll, er könne garnicht anders, als ihren Rat, den Rat seiner 'schönen Fürstin', zu beherzigen. Und obgleich fraglich war, inwieweit Rivan sich beim nächsten Kampf an dieses Versprechen entsinnen würde, vermochte Ylenavei wieder einmal nicht, ihm darum wirklich böse zu sein.

So einigten sie sich rasch, den Ort der kurzen Schlacht zu verlassen, ehe weitere Oger auftauchen mochten, und die Höhle mit grösserer Wachsamkeit weiter zu erkunden. Aurora allerdings weigerte sich, weiter in das Dunkel vorzudringen, sodass die junge Waldläuferin ihre Gefährtin mitfühlend vor der Höhle warten liess.

Rivan und Ylenavei entdeckten zahlreiche Spuren von Bergbautätigkeiten nebst verschiedenen Mineralvorkommen, als sie durch die Höhlen streiften, jedoch waren die verwaisten Lagerplätze und Werkzeuge zu klein um von Ogern benutzt zu werden. Eine alte Zwergenmine, vermutete der Silberwächter, nachdem sie sich einig waren, dass kein Goblin gezielt Bergbau betreiben würde. Sollten die Rotten auf der Ebene tatsächlich ihren Ursprung in diesen Höhlen haben - vielleicht vertrieben von den Ogern? - dann hatten sie keine eindeutigen Spuren hinterlassen.

Was die junge Waldelfe wie auch ihr Ritter in all ihren Gedanken missachteten, war, dass ihnen kaum mehr Oger begegneten. Jene Vereinzelten, auf die sie trafen, waren dank Rivans gewandtem Umgang mit dem Schwert rasch überrumpelt und besiegt. So geschah es, dass sie beide sich schliesslich eingestanden, an diesem Ort nichts weiter finden zu können. Ylenavei bedauerte die Aussicht an die Oberfläche zurückzukehren keinesfalls und folgte dem Silberwächter raschen Schrittes, als dieser die steile Rampe zum oberen Teil der Höhlen hinaufeilte und am anderen Ende die schwere Eisentür aufstiess.

Mit schwerem Donner fiel die Tür hinter der jungen Elfe ins Schloss, als sie hinter Rivan die obere Höhle betrat. Der Bereich zu ihren Füssen wurde von unstetem Fackellicht erhellt. Die drückende Stille bereitete Ylenavei nagendes Unbehagen. Atemlos sah sie umher, hob an, um den Silberwächter zu warnen.

Und plötzlich waren sie da. Fünf, nein sechs Oger traten grunzend aus den dunklen Tiefen der Höhle. Jäh prallte Ylenavei zurück, mit dem Rücken gegen die geschlossene Tür. Rivan riss sofort sein Schwert empor und stürzte brüllend den Ogern entgegen. Für einen Rückzug nach unten war es zu spät.

In drängender Verzweiflung liess die junge Elfe ihren Blick über die Kämpfenden eilen, wieder und wieder, ein Ziel suchend, eine Möglichkeit, ihren Gefährten zu unterstützen. Aber der Kampf war zu wild. Gewaltige Fäuste, grobe Waffen und hastige Schwertstösse griffen umeinander, stiessen, rangelten. Wären die grossen Oger sich zwischen den Felswänden nicht ständig selbst in die Quere gekommen, hätten sie Rivan binnen Sekunden überwältigt gehabt, und dann...

Ylenavei drängte den Gedanken fort, als sie gewahrte, wie eine der Kreaturen einen gewaltigen Speer hob und wild brüllte. Die Waldläuferin riss den Bogen hoch, Pfeil auf der Sehne, sah den Oger ausholen, zog die Sehne durch... Der Speer löste sich aus der Hand des Kolosses, raste auf den Wächter zu. Rivans Plattenpanzer gab mit hässlichem Kreischen nach, als die grobe Spitze sich in seine Schulter bohrte. Der Mensch wurde herumgerissen, stürzte, schlug mit dem Kopf am Felsen auf.

Ylenaveis Angstschrei folgte ihrem Pfeil in das Getümmel hinein. Die junge Elfe spürte kaum, wie ihr der Bogen entglitt. Wie einen Hammerschlag fühlte sie jähe Einsamkeit über sich hereinbrechen. Sechs grobe, gierige Gesichter drängten aus dem Dunkel auf sie ein, hinter ihr nur die kalte Wand. Die Erkenntnis, verloren zu sein, hallte in ihre Seele wieder, leer und blechern, wie das Klirren des Schwertes, das zu ihren Füssen aufschlug. Die Zeit verging unendlich langsam, während sie Rivan fallen sah, während sie sich nach der Waffe bückte, das Unabwendbare anzunehmen. Kälte drang in ihre Glieder, Grabeskälte.

Die junge Waldelfe starrte auf das Metall in ihrer grünen Hand. Für einen unendlich langen Augenblick ruhte das Schwert des Ritters seiner Macht beraubt in ihren Fingern. Es war Rivans Waffe, Rivans Schutz in der Not, die Sicherheit, welche zwischen ihm und allen Gefahren stand - und bis zum Ende stehen sollte. Ylenavei gewahrte sich die Klinge heben, wie zum Stoss, spürte sich vorstürzen, hörte sich schreien. Riesige, weit aufgerissene Augen starrten ihr entgegen, ein schwarzer Schlund mit groben Zähnen...

Der Aufprall fegte alles fort. Ein gleissender Blitz, ein grässlich schneidendes Geräusch, ein dumpfer Schlag in den Steiss. Ylenavei rang nach Luft. Als der Nebel ihre Sinne freigab, lag Rivan neben ihr. Die riesigen Augen des Ogers blickten sie an, in namenloser Überraschung eingefroren. Im Leib des Kolosses klaffte ein blutendes Loch. Unendlich langsam kippte die Kreatur nach hinten.

Ein heilloses Gerangel von klobigen Gliedern entstand vor den Augen der jungen Waldelfe, als der stürzende Oger seine nachdrängenden Artgenossen mit sich zu reissen drohte. Zeit, sagte etwas in Ylenavei, gewonnene Zeit. Im Nu war sie auf den Beinen, den herben Protest ihres Rückens ignorierend, schob hastig das Schwert hinter Rivans Gurt und zwängte von hinten die Arme unter seinen plattenbewehrten Schultern hindurch. Einen der gepanzerten Unterarme umklammert zog die zierliche Elfe mit aller Kraft an dem reglosen Körper. Langsam, mit lautstarkem Knirschen liess er sich bewegen, einen Fuss, zwei, drei. Ein dumpfer Stoss in den Rücken beendete jäh ihre Mühen.

Entsetzt gewahrte Ylenavei, dass die Oger bereits zurück zur Ordnung fanden und nun einer nach dem anderen in den Raum vordrangen, welchen zu verlassen sie die Biegung in ihrem Rücken soeben gehindert hatte. Ohne die Last von Rivans Körper hätte sie mühelos fliehen können. Doch wie könnte sie den tapferen Ritter, ihren hingebungsvollen Beschützer, ihren einzigen Freund auf Amdir dem sicheren Tod überlassen? Keuchend suchte die verzweifelte Elfe Halt an der nackten Wand. Kalreshaar, hohe Dame, weise mir einen Ausweg, sandten Ylenaveis Gedanken ein Stossgebet, als die Oger ihrer erneut gewahr wurden.

Plötzlich schien ihr der Fels ganz nahe. Der Geruch nach Feuchtigkeit, nach Erde zwischen den Steinen überlagerte unvermittelt den Gestank der Höhlenbewohner. Ylenavei glaubte zu spüren, wie feine Fäden des Lebens die felsige Masse rings um sie her durchzogen. Tiefe Wurzeln, Insekten, Gewürm, alles kroch und strömte um sie her, bereit, dem Gleichgewicht zu dienen. Die Seele der jungen Waldelfe griff nach diesem Leben, öffnete sich den feinen Strömen, rief sie herbei, als gelte es, ein Bollwerk aus reinem Leben zu schaffen, um die übermächtigen Feinde abzuwehren.

Der Höhlenboden barst. Aus feinen Rissen brachen Wurzelstränge hervor, schlugen hier- und dorthin, rankten umeinander und um alles, sie berührten. Irritiert stolperten die Oger in das Grün, griffen mit einfältig verdutzter Miene nach den Ranken, zogen daran, grollten. Das Gerank schien ihren schlichten Geist völlig zu beschäftigten. Ein jäher Schauer jagte über Ylenaveis Rücken. Sie stiess sich von der Wand ab, packte Rivans Leib fester und zerrte ihn um die Biegung.

Als die junge Elfe keuchend gegen die Rückwand der nächsten Biegung stiess, gewahrte sie, dass die Kolosse ihr nicht mehr zu folgen schienen, obgleich das Kreischen von Rivans stählernen Fersen auf dem Boden ihr ohrenbetäubend erschien. Hastig zerrte Ylenavei den Ritter um die Biegung. Der Gang in ihrem Rücken war nun leicht abschüssig zum Höhlenausgang hin. Noch einmal sammelte die Waldläuferin alle Kraft, setzte den Körper des reglosen Menschen wieder in Bewegung. Jäh gewarte sie, wie etwas grunzend zwischen ihren Rücken und den Ausgang trat. Der Wachposten am Ausgang war wieder besetzt worden.

In erschöpfter Verzweiflung schluchzte Ylenavei auf und warf einen Blick über die Schulter. Gerade setzte der Oger an, sich ihr zu nähern, als ein schwarzer Schatten fauchend zwischen seinen stämmigen Beinen hindurchfuhr. Aurora! Die Pantherdame wirbelte herum, kurz nachdem sie den Koloss überholt hatte, und knurrte ihn mit geblecktem Fang herausfordernd an. Mit einem Grunzen langte der Oger voraus, doch Aurora schoss wie der Wind in einen Seitengang davon. Kurz schüttelte sich die schlichte Kreatur, dann stürmte sie polternd in den Seitengang hinein, die Katze wütend verfolgend. Der Weg zum Ausgang war frei.

Ylenavei holte Atem, sandte letzte Kraft in ihre erschöpften Glieder, zerrte verzweifelt an dem leblosen Rivan, versetzte ihn wiederum in Bewegung, zog ihn rückwärts gehend auf den Ausgang zu, von der Neigung des Gangs beflügelt, rannte beinahe, stolperte hervor ans Tageslicht, den folgenden Steilhang nicht gewahrend, stürzte, rollte, die Welt drehte sich um sie, traktierte sie mit harten Stössen, quetschte sie zusammen....

Stillstand. Verzweifelt rang Ylenavei nach Atem, kämpfte gegen den Druck auf ihrer Brust. Metall presste sich auf ihren Leib. Schliesslich, mit letzter Kraft, wälzte sie sich unter Rivans Körper hervor. Geräuschvoll schoss die Luft in ihre Lungen. Lange Sekunden lag sie da, saugte das Leben in ihren geschundenen Leib, spürte ihre Glieder pochen, wie der rauschende Wirbel ihren Geist freigab.

Sie waren draussen, formte sich ein Gedanke, dann ein zweiter: Rivan! Die junge Elfe setzte sich auf, blinzelte heftig, um das Brummen in ihrem Kopf zu vertreiben. Der Silberwächter lag neben ihr und war in furchtbarem Zustand. Seine Plattenrüstung war zerbeult und eingedellt, der Schulterpanzer geborsten, wo der Speer ihn durchdrungen hatte. Der abgebrochene Schaft steckte immernoch in der Wunde, und Rivans Gesicht wirkte so zerschlagen und verschwollen, dass es der Waldelfe das Herz in der Brust zusammenkrampfte.

Vorsichtig berührte sie die eingedellte Brustplatte mit der Hand und spürte zu ihrer grenzenlosen Erleichterung, wie diese sich leicht hob und senkte. Rivan lebte! Nun galt es, seinen Leib von dem Metall zu befreien und nach der Speerspitze zu sehen. Als Ylenavei die Riemen ertastet hatte und um Vorsicht bemüht die Schulterplatte über den zerbrochenen Speerschaft hob, stöhnte der Mensch leise. Ein blaues Auge, nur einen Spalt weit geöffnet, sah sie an, als die junge Waldläuferin seinen Blick suchte.

"Ihr seid....verwundet...", kam es mühsam, kaum verständlich über Rivans Lippen. Erst jetzt gewahrte Ylenavei die Feuchtigkeit, die an ihrer Schläfe entlang und durch ihre Haare rann. Instinktiv hob sie eine Hand danach - und fand die grünen Finger blutbefleckt. Rivan keuchte schwer, als er sich zu bewegen suchte. Rasch legte sie die Hand zurück an seinen Brustpanzer und drückte ihn sanft nieder. "Das ist jetzt nicht von Bedeutung", mühte sie sich ihn zu beruhigen, "ich muss nach Eurer Schulter sehen."

Doch erst, nachdem die den Recken vollständig von seiner zerbeulten Rüstung befreit hatte, wandte die junge Elfe sich erneut der Speerspitze in seiner schulter zu. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Die Waffe musste entfernt werden. Doch war sie in der Lage, an Ort und Stelle die folgende Blutung zu stillen? Oder wäre sie besser beraten, Rivan zu einem erfahrenen Heilkundigen oder Priester zu bringen? Vorsichtig betastete sie die Umgebung der Wunde, schob mit einem Finger gegen den Speer. Das Schlüsselbein schien unversehrt, Kalreshaar sei Dank, und es drang kaum Blut an der Waffe vorbei.

Rivan jedoch hatte Schmerzen, und es tat der jungen Waldläuferin in der Seele weh, ihm seinen weinbeseelten Trunk vorzuenthalten, bis die Speerspitze entfernt war. Stattdessen stöberte Ylenavei im Gepäck ihres Ritters einen Haufen Bandagen und einige Phiolen reinen Heilsud auf - und fasste einen Entschluss.

"Haltet noch einen Augenblick aus, ich werde versuchen, Euch jetzt von dem Speer zu befreien." Ylenavei zwang sich tief einzuatmen, ehe sie den Rest des Schaftes fest umpackte und einen Fuss an Rivans Leib stemmte. Der Ritter stöhnte leise, und die junge Waldelfe musste sich zum letzten Schritt überwinden. "Achtung, jetzt!" Mit aller Kraft zog sie an dem Speer und stellte zu ihrer jähen Erleichterung fest, dass dieser sich rasch löste. Ylenaveis protestierte schmerzhaft gegen den plötzlichen Rückprall.

Keuchend liess sie die Speerspitze fallen, griff nach dem bereitliegenden Verbandshäufchen und presste es auf das Loch in Rivans Schulter, welches sich mit Blut zu füllen begonnen hatte. Ihr Mut sank jäh, als sie sah, wie sich das Leinen rot färbte und feucht in ihren Händen wurde. Sie hätte es nicht wagen sollen! In ihrer Verzweiflung griff Ylenavei nach einer Heilsud-Phiole und flösste sie Rivan mit einer Hand ein, in Gedanken ein weiteres Stossgebet an Kalreshaar sendend.

Als sie schliesslich ein neues Stück Leinen auf die Wunde presste, gewahrte sie, dass die Blutung nachgelassen hatte. Rivan musste wahrhaftig in der Gunst seiner Glücksgöttin Tymora stehen, und in jener Kalreshaars noch dazu. Die junge Elfe half ihm, einen Schluck aus seinem Trinkschlauch zu nehmen, ehe sie den Inhalt dazu verwandte, die Wunde zu reinigen. Mit grossem Erstaunen gewahrte sie, dass die Wundränder sich zu glätten begannen und sich ein wenig zusammenzogen.

"Das ist ein altes Söldner-Rezept", erklärte Rivan matt und benetzte sein Gesicht mit dem Trunk, "Zwei Teile wasser, ein Teil weingeist und ein Teil Heilsud." Ylenavei huschte ein leichtes Lächeln über die Lippen. "Dies ist also das Geheimnis Eures Wunderschlauchs", sagte sie, während sie Rivans Gesicht abschwellen sah. Das stete Pochen in Kopf und Gliedern ignorierend verband sie des Silberwächters Schulter und begann, die verstreute Ausrüstung wieder einzupacken.

Fragend sah die junge Elfe auf, als sie spürte, wie Rivan sich zu ihr beugte. Behutsam tupfte er ihre feuchte Schläfe ab. Der Weingeist brannte in der wunde, die sich dort befinden musste. Ylenavei zwang sich, nicht zurück zu zucken, als sie gewahrte, wie sehr der Mensch sich scheute, ihr wehzutun. Das Pochen an ihrer Schläfe liess etwas nach, doch kündete der Schmerz in ihren Gliedern unvermindert von den Entbehrungen der letzten Stunde.

Gewaltige, wütende Oger zogen durch Ylenaveis Geist, viel zu verwinkelte Gänge - auf der Flucht rückwärts musste sie sich viele Prellungen und Stösse zugezogen haben, wenn diese nicht vom abschliessenden Hangsturz herrührten -, die schwere Last von Rivans plattenbewehrtem Körper, Auroras rettendes Manöver, alles brach nun wieder über die erschöpfte junge Elfe herein.... Aurora? Wo war sie eigentlich...?

Im Nebel der kreisenden Erinnerungen gewahrte Ylenavei plötzlich ein schleifendes Geräusch. Beinahe hätte sie vor Erleichterung aufgeschluchzt, als sie Aurora den Hang hinabeilen sah. Die Pantherdame schleifte etwas langes, sperriges im Fang mit sich - Ylenaveis Langbogen! Voll überschwänglicher Erleichterung schloss die junge Waldelfe ihre Tiergefährtin in die Arme. Aurora schien wohlauf zu sein. Nun waren sie alle wieder beisammen.

Die goldenen Augen der Katze sahen sie mahnend an und Ylenavei wurde bewusst, was sie seit dem Hangsturz völlig verdrängt hatte: Sie konnten nicht hierbleiben, inmitten des Goblin-Gebietes, wo jederzeit feindliche Späher erscheinen mochten. Rivan teilte diese Ansicht und berichtete von einer Taverne am Rand der Ebene, welche sie erreichen können sollten. Als die junge Elfe sah, wie sich der tapfere Ritter auf seine eigenen Füsse mühte und sogar das Bündel mit seiner zerstörten Rüstung zu tragen gedachte, rappelte auch sie sich mühsam auf. Einander stützend und ermutigend schleppten sie sich der Taverne entgegen.

Als die gute Wirtin sie schliesslich in ihren Schankraum stolpern sah, zerschunden und blutig, kam sie eilends herbei, bot ihnen eine Bank zum Sitzen an, liess Zimmer und das Bad herrichten und warme Suppe aufs Feuer setzen. Zutiefst erschöpft liess Ylenavei sich neben Rivan auf die Bank sitzen. Die Wärme des Schankraums, das Knistern des Feuers, der Duft aus der Küche erfüllten sie mit wohliger Behaglichkeit. Und sie war nicht allein.

"Wer weiss...eines Tages mögen wir gemeinsam am Feuer sitzen und über unseren Besuch bei den Ogern lachen...", sagte sie an Rivan gewandt. "Weshalb bis 'eines Tages' warten? Lachen mögen wir doch jetzt darüber", antwortete der Silberwächter. Ein leises Gelächter rann über Ylenaveis Lippen. Sie waren in Sicherheit, alles war gut. Sacht legte die junge Waldelfe den Kopf an Rivans Schulter. Die behagliche Wärme hüllte sie vollkommen ein. In Gedanken den Göttern dankend sog Ylenavei den Duft nach warmen Speisen ein. Während sie dem steten Herzschlag des Menschen lauschte, verloren sich ihre Schmerzen in der Ruhe. Ihre Gedanken entschwebten, strichen durch friedliche Wälder, träumten von lichten Schatten, von sanftem Windhauch, und von Wolken.
15.09.2011 19:04:15
Aw: Die Bewährung (#51564)
Ylenavei
[b]Windgeflüster[/b]

Mit vielzahligen Stimmen wogte der kalte Wind in den Wipfeln der hohen Bäume. In Böen kam er über das Meer, strich über das Land, erklomm die Hügel und fegte sie hinab, eilte wieder auf das weite Meer hinaus. In seinem Wehen schob er Wolken vor den Mond, und ein dunkler Schatten legte sich über die nächtlichen Lande Amdirs.

Ylenavei duckte sich unter den Böen, schmiegte sich tief in ihr Bärenfell. Sie sah auf die schimmernden Lichter Elborias hinab, welche dem Wind mit unerschütterlichem Frieden zu trotzen schienen. Ein funkelnder Hort der Schönheit, der Freude an der Kunst und des Gelehrtentums, des Lebens in Frieden und Sicherheit, so hatte die junge Waldelfe sich die hohe Elfenstadt auf Amdir vorgestellt gehabt und sie am Tage ihrer Anreise ebenso vorgefunden. Noch heute sprachen die Lichter in diesem Tal zu ihrer Seele von zauberhaften Mysterien und erhabener Weisheit.

Und dennoch war diese Welt nicht so, wie sie zu sein schien. Ylenavei fröstelte, als eine neue Böe über den Hügel fegte, auf dessen Kuppe die junge Elfe sich unter einen mächtigen Baum kauerte. Schon bei ihrer Ankunft hatte sich gezeigt, dass Elboria nicht in allem den Erzählungen ihrer Leute glich. Von jenem mächtigen Mythal, welcher die Stadt gegen alles Böse schützen sollte, hatte sie keine Spur wahrgenommen, und der Bibliothekar hatte sie schliesslich aufgeklärt, dass dieser uralte Zauber in den jüngsten Jahren zerbrochen sei. Ylenavei wusste, dass Legenden oftmals den Lauf der Zeit missachteten. Sie hatte sich deshalb nicht gesorgt.

Die junge Elfe schaute in das beleuchtete Tal hinunter, doch sah sie zwischen den Lichtern nun Schatten. Die Schatten waren allgegenwärtig, seit die unbedarfte Waldläuferin erfahren hatte, welch düsterer Schatten über ganz Amdir lag. Über den weiten Ebenen der Insel, der beschaulichen Heimstatt der Hin, über Mirhaven, wo Rivan wachte, und über der hohen Stadt der Elfen, wie auch den Wäldern von Callaneth. Die Wälder, in welchen Auroras Familie lebte, in welchen Ylenavei so viele erquickliche Stunden unter dem grünen Blätterdach verbrachte.

Über all diesen friedlichen Orten dräute der finsere Schatten, welcher den Namen Valvec trug. Valvec, die verderbte Stadt, wie die Geschwister aus Elboria gesagt hatten, Valvec, die Brutstätte der Finsternis, voll von Orks und Totenbeschwörern...und von Drow. Die Gewissheit, dass ihre dunklen Vettern wahrhaftig existierten, und dass es sie in unmittelbarer Nähe Amdirs gab, erfüllte Ylenavei mit tiefer Beklommenheit. Doch noch beklemmender als die Existenz der Insel Valvec mit all ihren Bewohnern war das Wissen, dass diese nicht bloss existierten, sondern zudem ihre ungebrochene, finstere Aufmerksamkeit auf die friedlichen Lande Amdirs gerichtet hielten.

Andariel und ihr Besucher vom Volk der Erkatam hatten von wandelnden Toten um den Leuchtturm nahe Hohenbrunn berichtet, die dort eingefallen waren, und sie verdächtigten das Übel Valvecs, die Ursache dessen zu sein. 'Valvec ist immer an allem schuld', hatte der Erkatam festgestellt, und Andariel hatte ihm rechtgegeben. Ylenavei schauderte bei jedem Gedanken an diesen scheuslichen Ort mit seinen furchtbaren Bewohnern. Das 'Untotenmiststück' hatte der Zwerg genannt, und ein 'Halbork-Weib mit Riesenhammer'. Und sie waren mit den dunklen Vettern aus den Tiefen der Welt im Bunde.

Fröstelnd zog Ylenavei das Bärenfell fester um sich, als sie an die Worte ihres Vaters zum Zweck seines - und ihres Daseins - zurückdachte. Es sei seine Aufgabe, wie es die ihre werden würde, den Erhalt des Lebens in ihrer Welt anzustreben, dieses Leben vor dem Untergang in den Wirren dunkler Mächte zu bewahren. Ihre Welt, dachte die junge Waldelfe, das war nun Amdir - oder vielmehr Callaneth. Nach wie vor empfand sie zu den Wäldern selbst eine tiefere Verbindung als zu Elboria, welches in ihren Augen bloss einen Randbereich des Waldes darstellte.

Ylenavei spürte den grossen Baum in ihrem Rücken, als sie sich seufzend zurücklehnte. 'Das Land, welchem wir dienen, endet nicht an seinen Grenzen', hatte ihr Vater sie gelehrt. So endete auch ihre neue Heimat nicht am Rand des Waldes, sondern schloss die weiten Ebenen, das idyllische Hohenbrunn, das ferne Telodur und sogar die Menschenstadt Mirhaven mit ein, hing mit ihnen allen untrennbar zusammen. So würde auch das Land einzig inmitten von ihnen allen vor den dunklen Schatten bewahrt werden können.

Eine beängstigend grosse Aufgabe. Die junge Waldelfe schauderte, als eine Windbö ihre Haare zauste. Sie streifte ihre Bärenfell-Kapuze über den Kopf und dankte der hohen Dame des Waldes, dass sie in dieser plötzlich so grossen und düsteren Welt nicht allein war. Die Wärme ihres Bärenmantels belebte die Erinnerungen an Rivan, ihren treuen Freund und Ritter. Bei niemandem sonst hatte Ylenavei sich so wohl gefühlt, seit sie den Hochwald hinter sich gelassen hatte. Obgleich sein menschlicher Ungestüm in den zurückliegenden Wochen zu manch dramatischer Lage beigetragen hatte, war er stets so aufrichtig und liebevoll um ihr Wohl besorgt, dass die junge Elfe sich in seiner Gegenwart selbst in dunkelsten Stunden geborgen fühlte.

Das Lächeln des Menschen, seine strahlenden blauen Augen waren wie ein Licht in der Dunkelheit. Als sie Rivan zuletzt gesehen hatte, an jenem Abend in der Taverne, hatte der Unerschütterliche es fertig gebracht, über ihre verhängnisvolle Begegnung mit den Ogern, welche ihm beinahe das Leben gekostet und eine durchbohrte Schulter beschert hatte, zu lachen, und Gram und Schmerzen mit seiner Freude am Leben selbst hinfortzuwischen.

Ylenavei war an seiner Schulter entrückt, in einen Traum von weichen Wolken und Geborgenheit entglitten. Als die Wolken sich schliesslich gelichtet hatten, hatte die junge Waldelfe sich in einem Daunenbett wiedergefunden, umgeben von Blumenduft. Die Sonne hatte ihr Antlitz gestreift, doch mehr als all ihre Strahlen hatten jene Zeilen Ylenaveis Seele gewärmt, die Rivan ihr zurückgelassen hatte. Sie hatte seinen frühzeitigen Aufbruch bedauert, jedoch keine Sekunde lang verurteilt. Pflichtbewusstsein zeugte von einem ehrenhaften Herzen. Zudem hatte der Mensch mehr, als er zu haben glaubte: Einen festen Platz in der Welt, an welchen er gehörte.

Der einzige Platz hier auf Amdir, dessen sie, Ylenavei, sich sicher fühlte, war der Platz in Rivans Herzen. Die junge Elfe legte die Hand auf das Kettenhemd an ihrer Brust, barg den Brief, der sich dort unter ihrer Tunika befand, unter grünen Fingern. Es war an der Zeit, ihre Gedanken um das Land, um Amdir, und den dunklen Schatten von Valvec zu teilen. Und Ylenavei war sich gewiss, einen Freund und Gefährten zu haben, mit welchem sie gemeinsam dieser neuen Welt entgegentreten konnte. Es war an der Zeit, auf die Suche zu gehen.
02.10.2011 11:47:30
Aw: Die Bewährung (#52123)
Ylenavei
Steinige Wege (Erstens kommt es anders....)

Tief atmend setzte Ylenavei einen Schritt vor den anderen. Die Luft war leichter und klarer in dieser Höhe, als sie es auf Meeresebene war, und dennoch bereitete ihr das Atmen um so mehr Mühe, je höher sie kam. Und immernoch wand sich der steile Pfad vor ihren Augen die schroffe Bergflanke empor. Das Aufwärtsgehen bereitete ihr zunehmend Mühe, und die junge Waldläuferin fragte sich bereits, ob es wirklich klug war, dieses Bergmassiv überqueren zu wollen.

Gemäss ihren Erinnerungen an eine Karte Amdirs musste irgendwo in dieser Gegend die Zwergenbinge Telodur gelegen sein. Dieser Gedanke bestärkte Ylenaveis Mut. So oft schon hatte sie nun von dem Bündnis der Erkatam mit ihrem eigenen Volk gehört, und die bärtigen Bergbewohner waren gewiss standhafte Leute, sodass diese Gegend, so unwegsam sie auch sein mochte, endlich ein wenig Sicherheit versprach.

Sicherheit. Bis vor kurzem hatte die junge Elfe geglaubt, in den Wäldern und Auen rings um Elboria etwas wie Sicherheit finden zu können. In einer Welt, über welcher stetig Schatten dunkler Machenschaften und bösartiger Pläne dräuten, war eine Heimstätte, ein sicherer Rückzugsort, ein kostbares Gut.

Ylenavei seufzte schwer und tat einen weiteren Schritt bergauf, als ihr jener Tag durch den Sinn ging, an welchem das Gefühl der Sicherheit in ihrer erhofften neuen Heimat ein so jähes Ende gefunden hatte. Es grämte die junge Waldelfe jetzt noch, wie sie hatte mit ansehen müssen, wie das furchterregende Halborkweib direkt vor den Toren Elborias umging und sich in respektloser Weise den Weg in den Wald von Callaneth bahnte. Die ganze folgende Nacht hatte Ylenavei um die Familie ihrer Panther-Gefährtin gebangt, welchen in ebendiesen Wäldern lebte. Die junge Elfe grämte sich so sehr, dass sie tatenlos abgewartet hatte, anstelle irgendetwas für die Panther-Familie tun zu können, dass der Anblick der treuen Aurora, welche ihr auch nach diesem Tag nicht von der Seite wich, ihr die Tränen in die Augen getrieben hatte.

Ein scharfer Wind wehte um die Berge, zwischen deren steilen Hängen sich Wolken drängten. Schroffes, spärlich bewachsenes Felsland erstreckte sich ringsumher, welches einzig zähen, anpassungsfähigen Bewohnern Lebensraum bot. Ylenavei war nicht daran angepasst. In einer dürftig geschützten Felsnische kauerte sie an einem kleinen Feuer, ihre Schlafdecke fest um sich geschlungen. Ein einzelner gebeugter Baum ragte über ihr auf, mühselig in der dünnen Luft emporgewachsen. Seine krummen Äste trugen Ylenaveis Mantel und das Kettenhemd, welches ihren kostbarsten Besitz darstellen mochte - gemocht hatte.

Auch jetzt trottete die kräftige Pantherdame geduldig hinter ihr her und erklomm den Bergpfad ohne Klagen. Nach der Begegnung mit dem Halbork hatte Ylenavei ihre Streifzüge gen Norden hin verschoben. Sie hatte Rivan versprochen, auf sich achtzugeben. Nachdem der jungen Waldläuferin offenbar geworden war, dass die Düsternis im Süden Amdirs sich nicht mit dem finsteren Sumpf oder jenem untotenbelagerten Leuchtturm begnügte, sondern von Hohenbrunn bis nach Elboria allerorts zu finden war, hatte es Ylenavei danach gedrängt, neues Land zu erkunden, welches weitab von den Schatten des Südens liegen mochte.

Unschlüssig hatte sie eine Weile am Rande der grossen wüste gelagert und die gewaltigen Kreaturen beobachtet, welche zwischen den fernen Dünen umherstreiften. Die Wüste war zu lebensfeindlich, um durchquert zu werden. Doch mit jedem Tag, den die junge Waldelfe mit Gedanken um eine neue Richtung verbracht hatte, hatten die Berggipfel am nördlichen Horizont an Reiz gewonnen. Schliesslich hatte die Waldläuferin ihr Lager abgebrochen und war dem Rand der Wüste gefolgt, welcher sie an den Fuss ebendieses Gebirges geführt hatte.

Nun hatten Ylenavei und Aurora die erste Passhöhe endlich erreicht. Links und rechts ragten schroffe Gipfel auf, und über die karge, ebene Fläche dazwischen pfiff ihnen ein scharfer Wind entgegen. Das Licht des Tages schwand bereits, und die Windböen trugen etwas in sich, das Ylenavei schaudern liess. Die junge Waldläuferin war in der Kunde des Gebirgswetters mit all seinen Tücken unterwiesen worden, doch glaubte sie nun erstmals zu spüren, wovon ihr Vater an jenen langen Abenden gesprochen hatte. Ein Wetterumschwung lag in der Luft.

Aufmerksam sah Ylenavei sich um, entlang der steifen Windströme. Als sie schliesslich die Wolkenfront gewahrte, welche sich um einen der Berggipfel schob, war es ihr, als brächen die grauen Massen gleich einer gigantischen, verlangsamten Flutwelle über die Felsen herein. Aurora legte die Ohren an und schlug mit dem Schweif, während die junge Elfe sich nach einem möglichen Unterschlupf umsah. Der Hang, über welchen sich die Front gerade schob, versprach zumindest ein wenig Deckung vor dem Unwetter. Ylenavei eilte gefolgt von der Panther-Dame darauf zu.

Sie sandte ein stummes Dankgebet an Kalreshaar, als sie zwischen all den mächtigen Felsformationen einen dunklen Spalt ausmachte. Als die Waldelfe diese rettende Öffnung erreichte, fand sie sich vor einer pechschwarzen Öffnung wieder, die kleiner war, als zunächst erhofft, aber gerade weit genug, um einer der ihren und dem Panther Schutz zu gewähren. In diesem Augenblick fing es in harten, kalten Tropfen an zu regnen.

Ylenavei zwängte sich eilig in den Spalt, von Auroras jähem Knurren angetrieben...und spürte, wie sie ins Leere trat. Schwärze schlug über ihr zusammen, und harte Felsen schlugen und stiessen in ihren Leib, als sie über mehrere Winkel und Vorsprünge in die Tiefe stürzte. Benommen rang die junge Elfe schliesslich nach Atem, als sie endlich auf ebenem Boden zu liegen kam. Wenngleich ihr Leib und alle Glieder schmerzhaft pochten, so spürte sie, dass ihr Kettenhemd und Kalreshaars Segen - oder vielmehr jener von Rivans Fräulein Tymora? - sie vor dem Schlimmsten bewahrt hatten. Vorsichtig setzte sie sich auf und tastete in der Dunkelheit umher.

Ihre Finger ertasteten eine kalte Metallstrebe und hölzerne Schwellen, ein Schienenstrang. Dann, keinen Fuss daneben, etwas vertrautes. voll Erleichterung seufzte Ylenavei auf. Es war ihr Bogen, und die Sehne verband seine Enden straff gespannt. Die Waffe war unversehrt.

Langsam gewöhnten sich ihre empfindlichen Augen an die Dunkelheit, und die feinen Elfensinne der jungen Waldläuferin begannen sich zu entfalten. Schemenhaft erkannte sie neben sich eine Lore, an welcher sie sich auf die Beine zog. Sie befand sich zweifellos in einer Mine. Ob dies ein Teil der legendären Zwergenminen von Telodur war? Dieser Gedanke weckte in der Waldelfe ein irgendwie ungutes Gefühl.

Der Schienenstrang zog sich einige Schritt voraus um eine Biegung, und es war Ylenavei, als schimmerte dort hinter schwacher Fackelschein. Vorsichtig, so leise es ihr in ihrem Zustand eben möglich war, schlich sie an die Biegung heran und spähte herum. In dem weiten Gang vor ihren Augen kauerte eine grosse Rotte Goblins beieinander, vertieft in unverständliche Gespräche in ihrer gutturalen Sprache. Neun mit einem Mal, und der einzige Weg fort vom Ort ihres Sturzes führte an ihnen vorbei. Ylenavei wünschte sich Aurora an ihre Seite, doch die Pantherdame war bei ihrem Sturz an der Oberfläche zurückgeblieben. So wich die junge Elfe atemlos zurück und zog leise einen Pfeil aus ihrem Köcher. Wenn sie aus der Dunkelheit heraus angriff, mochte das Überraschungsmoment den entscheidenden Vorteil verschaffen...

Es wurde eine endlos lange Zeit voller harter Kämpfe wie diesem, in welcher sich Ylenavei einen wenig durch die verwirrenden Stollen suchte. Sie fühlte sich zerschlagen und mürbe, als sie endlich eine schwere Pforte erreichte, hinter der eine steile Treppe in die Tiefe führte. Als die vom Kampf erschöpfte Elfe sah, dass der Durchgang nach unten führte, nicht nach oben, spürte sie sich von jäher Niedergeschlagenheit umfangen. Zurückgehen hiess, wieder in die Stollen mit den Schienen, nach einem Aufgang suchen, wo keiner zu sein schien, und sich womöglich erneut den Goblins stellen. Nach unten hiess vielleicht, auf ruhigeren Wegen irgendwo hinzugelangen, wo es wieder hinauf und an die Oberfläche gehen mochte. So packte die Waldläuferin ihren Bogen fester, als sie sich entschloss, den Weg durch die Tiefe zu versuchen.

Im tieferen Stollen war alles anders. Etwas gewaltiges, urtümliches lag in der Stille, eine Macht, die von den felsigen Tunnelwänden selbst auszugehen schien.

Die Wahrnehmung der Welt in dieser tiefgehenden Weise bereitete der jungen Waldelfe häufig Schwindel. Vor Kurzem erst, wohl seit ihrer unglücklichen Begegnung mit den Ogern, hatten ihre Sinne begonnen, rapide an Schärfe zu gewinnen, sich gar einer neuen Wahrnehmungsebene zu öffnen. Seither geschah es immer wieder , dass Ylenavei Dinge spürte, die sie nicht sah, hörte oder roch. Das Leben selbst in den Dingen schien ihr dann in vertraulicher Weise nahe zu sein, und zuweilen gewährte die hohe Dame des Waldes ihr sogar die Macht, etwas daran zu verändern.

Eben so erging es ihr in jenem tiefen Stollen. Wenngleich das Gefühl nicht genügend greifbar war, als dass die junge Waldelfe irgendeine Veränderung hätte bewirken können, nahm sie doch deutlich das Leben im Fels wahr. So war Ylenavei nicht wirklich überrascht, als sich, kaum dass sie einige Schritte in den Stollen hinein getan hatte, ein Wassergeist aus der Wand löste. Das Geschöpf hatte offenbar nicht damit gerechnet, dort gestört zu werden, denn ein rascher Pfeilregen wirbelte die belebten Wassermassen jäh auseinander und hinfort.

Die Waldläuferin senkte den Bogen und lauschte angespannt, fühlte tief in sich hinein. Dort unten war noch mehr, noch grösseres als ein einzelner Wassergeist. Sie wünschte sich erneut und sehnlichst, die Pantherdame wäre hier bei ihr. So schlich Ylenavei auf leisen Sohlen in die Dunkelheit hinein. Sie hielt den Atem an, als sie eine Kreatur entdeckte, die ein Teil der Felswände selbst zu sein schien. Das Wesen ragte bis zur Tunneldecke empor und nahm den halben Durchgang ein, doch bemerkte es die junge Waldelfe nicht, als sie sich behutsam daran vorbeischob.

Schliesslich stand Ylenavei gänzlich unvermittelt vor einer Diamantlagerstätte. Sie starrte die Ader mit den unverwechselbaren Kristallen an , ohne dass sie es wagte, sich auch nur eine Spanne weit zu bewegen. Diamanten gab es einzig und allein in Telodur. Sie musste sich demnach irgendwo in den Zwergenminen befinden. Doch spürte sie, dass sie nicht allein war. Die Präsenz weiterer Wassergeister und Steinkreaturen war unverkennbar deutlich. Mit klopfendem Herzen sah die junge Elfe in den Tunnel zurück. Hier wäre ein Schürfrecht wenig wert, wenn man nicht der Natur höchstselbst die Stirn zu bieten wusste. Allein der Gedanke, hier zu schürfen, erschien ihr in diesem Augenblick wahnwitzig. Vorsichtig setzte Ylenavei einen Fuss vor den anderen, strebte dem einzigen Ausgang, welchen sie kannte, entgegen.

Sie sah den Felsbrocken nicht. Unvermittelt strauchelte sie, als der Stein zwischen ihre Füsse geriet. Jäh waren die Präsenzen der Geister greifbar nahe. Ylenavei rannte blindlinks, liess sich von ihrem Instinkt leiten. Plötzlich war überall Wasser, als wäre der Gang von einem Augenblick zum nächsten überflutet worden. Die junge Elfe strauchelte, würgte, hustete, denn selbst in ihr war das Wasser, suchte sie zu ertränken.

Sie gewahrte kaum, dass sie den Tunnel weiter hinabstolperte, spürte nicht, wie die geisterhaften Fluten sich mit einem natürlichen Wasserlauf vereinten, hatte kein Gefühl für die jähe Kälte des Gebirgswassers. Ylenavei verlor sich in dem Wirbeln um sie herum, während ihre Lungen wild nach Atem schrien. Dann stach unvermittelt Helligkeit in ihre Augen. Die Elfe spürte, dass sie fiel, eine lange Sekunde lang, dann schlugen kalten Wellen über ihr zusammen. Langsam sank sie nach unten, fort von dem gleissenden Licht fort von... sie glaubte, Rivans Gesicht zu sehen, verschwommen, von Verzweiflung gezeichnet, schwindend.

Schwimmen, bildete sich ein jäher, fester Gedanke in Ylenaveis Geist. Nach oben schwimmen. Dem schweren Gewicht ihrer nassen Kleidung zum Trotz tat sie mit letzter Kraft einen Zug, dann noch einen... Rascher als erwartet durchbrach sie die Wasseroberfläche. Hustend und würgend rang die junge Elfe nach Atem, taub für ihr eigenes Keuchen, da ein gewaltiges Tosen sie umgab.

Als ihre Sinne sich langsam klärten, sah sie den Rand eines kleinen Bergsees, in dem sie schwamm, spürte die feinen Gischtschleier, die von dem Wasserfall hinter ihr ausgingen. Während sie noch mit letzter Kraft auf das Seeufer zuhielt, wurde ihr bewusst, dass dieser Quell sie aus dem Berg gespült und den Wasserfall hinab in den See befördert haben musste. Zitternd zog Ylenavei sich an den Wurzeln eines einsamen, knorrigen Baumes an das felsige Ufer und dankte Kalreshaar still für ihren Segen, welcher sie selbst in finsterster Lage nicht verliess. Lange lag die erschöpfte Elfe zwischen den Wurzeln des einzigen Lebeswesens ausser ihr dort oben, wie ihr schien, und sammelte ihre verbliebenen Kräfte.

[...]

Hier hatte sie schliesslich ihr kleines Lager aufgeschlagen, hatte den nassen Umhang und die klamme Rüstung abgelegt und Bestandsaufnahme gemacht. Der grosse Segeltuchbeutel hatte dicht gehalten, sodass Ylenavei sich wenigstens in ihre trockene Schlafdecke hatte wickeln können, wenngleich dies ihre feuchte Tunika kaum aufwog. Rüstung und Mantel hatte sie über sich in die Zweige des niedrigen Baumes gehängt, wo der Wind sie trocknen mochte.

Sehnsüchtig sah die junge Waldelfe zu diesen und weiteren Gegenständen auf, welche dort zum Trocknen hingen. Nicht dass die Nässe den Ketten etwas anhaben konnte, nicht dass die inzwischen zahlreichen Kampfspuren es entwerten würden, doch besass die Waldläuferin seit jüngstem Schätze, die weitaus kostbarer genannt werden mochten - und hier und jetzt ebensowenig Nutzen hatten wie die nasse Rüstung. Ylenavei zog ihre Decke fester, als ein Windhauch über sie strich. Sie fühlte sich elend, erschöpft und klamm.

Frierend liess sie ihre Gedanken um die Geister der Tiefen kreisen. Sie gehörte dort nicht her, und das hatte die Erde selbst nur zu deutlich verlauten lassen. Sie hätte erst garnicht dort hinabgehen sollen. Selbst wenn sie eines Tages das Recht erhalten würde, selbst nach Diamanten zu schürfen:Selbst Rivan dann darum zu bitten, sie gegen diese Wesen zu begleiten, erschien der jungen Waldelfe in diesem Augenblick nicht recht.

Der Gedanke an den tapferen Silberwächter minderte ihr Elend auch nicht. Sie hatte Rivan versprochen, auf sich acht zu geben, und dann hatte sie dieses Versprechen in den Wind geschlagen, als sie sich in die unbekannten Tiefen unter den Goblin-Gängen wagte. Nur mit Glück - der Gunst der Götter - hatte sie lebend wieder hinausgefunden. Wie sollte sie ihrem Ritter nun noch in die Augen sehen? Hätte sie denn inmitten der ihr fremden Minen eine andere Wahl gehabt?

Ylenavei seufzte tief und erleichtert, als ein massiger, scharzer Leib sich um sie schob. Aurora hatte sie gefunden! Die Pantherdame wuchs rasch, stellte sie wieder einmal fest, mass in der Länge bald ebensoviel, wie sie, Ylenavei, hoch war. Die Katze schmiegte sich mit einem sanften Knurren an sie, und die erschöpfte Waldläuferin suchte Schutz in der Wärme des kräftigen Leibes. Sie blinzelte, als Tränen der Dankbarkeit ihren müden Blick trübten.

Die Augen auf das kleine Feuer gerichtet liess die erschöpfte Elfe ihre Gedanken entgleiten, löste sich von ihren klammen Gliedern und gewährte ihrem Geist das Träumen. Kaum war sie entrückt, schlugen die düsteren Visionen von finsteren Orten, bewohnt von ewigem Hass und Grausamkeit, über ihr zusammen.

[...]

Eine rauhe Stimme drängte sich in die Träume, liess Schrecken und Düsternis jäh zu Staub zerfallen. Ylenavei blinzelte und sah zu einem bärtigen, nicht ganz unbekannten Gesicht auf. Erleichterung umfind sie, als sie den Zwerg erkannte, welchem sie bereits einmal vor Elboria begegnet war, am selben Tag wie dem furchterregenden Halbork-Weib.

"Was tut Ihr hier?", fragte er in der den Erkatam so eigenen knappen Art und hielt mit kritischem Blick Aurora im Auge.

Den Schlaf noch von sich scheuchend erklärte Ylenavei, sie würde rasten, nachdem das Unwetter sie gezwungen hätte, ihren Streifzug durch die Berge zu unterbrechen und Schutz zu suchen. Ein klammes Gefühl im Magen liess sie den Rest der Hintergründe vorerst verschweigen.

Als der Zwerg ihr nun erklärte, für eine Rast, sogar für die Passage des Berglandes brauche sie eine Genehmigung, traute die junge Elfe ihren Ohren nicht. Hatte nicht auch dieser Erkatam - Valard war sein Name - in lauten Tönen das Bündnis zwischen ihren Völkern gelobt? Zudem erkannte er sie als eine der ihren, entsann sich sogar noch an ihre Begegnung vor Elboria!

Entgeistert sah Ylenavei den Zwerg an, und als dieser weiterhin anmerkte, dass ausserdem nicht nur die Minen, sondern auch die Binge als solche für jegliche Nichtzwerge gesperrt sei, spürte die Waldelfe sich innerlich alle Hoffnungen begraben, jemals die nötigen Diamanten aufbringen zu können, um all die Worgfelle, die Rivan und sie erbeutet hatten, in ihre Bognerlehre einfliessen zu lassen.

Die knappen und direkten Worte des Erkatam sickerten wie kaltes Wasser in Ylenaveis Seele, und wenngleich ihre Tunika über Nacht getrocknet war, kehrte das elende Gefühl, an einem Ort wie diesen Bergen völlig falsch und unerwünscht zu sein, mit der Erinnerung an die klamme Kälte zurück. Es kostete die junge Elfe viel Überwindung, trotz all dem die Frage zu stellen, ob Valard dennoch eine Möglichkeit wisse, wie sie um einen Handel ersuchen könne, um Diamanten zu erwerben.

Sie schluckte benommen, als sie die Antwort des Erkatam vernahm. An Andariel Lethanon solle sie sich wenden, die habe Beziehungen. Für ein Mitglied des Elfenvolks, des vielgelobten Verbündeten der Zwerge, war es demnach gänzlich unmöglich, mit dem 'befreundeten' Volk gezielt Kontakt zu suchen, ohne vom Zufall oder 'auserwählten' Geschwistern mit persönlichen Kontakten Beistand zu erhalten. Die Erkatam dagegen gingen frei in Elboria ein und aus, wie Ylenavei in der Werkstatt ihres Lehrmeisters selbst erlebt hatte. Hielten die Zwerge dies etwa für eine vertrauensvolle, gleichberechtigte Völkerbeziehung?

Mehr und mehr drängte es die junge Waldläuferin, diesen Ort schnellstmöglich zu verlassen, an welchem sie sich so sehr unerwünscht fühlte. So nahm sie dankend das Angebot Valards an, sie zur Küste zu geleiten, ehe die Morgenpatrouille aus Telodur sie hier vorfinden und weitere Unannehmlichkeiten beschwören würde. Eilig suchte sie ihre Habseligkeiten zusammen und deutete Aurora, ihr zu folgen, ehe sie sich an Valards Seite schweigend an den Abstieg machte.

Ylenavei verspürte nur wenig Erleichterung, als sie die Niederungen rund um den Schiffsanleger erreichte. Die Enttäuschung betreffend der Erkatam sass einfach zu tief. Die junge Elfe warf einen Blick in Richtung des Ufers, an welchem sich ein Schiff erhob. Doch ihr war nicht nach Gesellschaft, nicht einmal von Kapitän Swift. So liess sie sich von ihren Füssen auf den Pfad am Rand der wüste tragen, wanderte verloren in der Stille, ohne Ziel, ohne recht zu wissen, wohin. Später, jenseits der Wüste, wandte sie sich nicht bewusst nach Osten. Ganz Amdir erschien ihr abweisend, ohne Raum für eine Waldelfe auf der Suche nach einer neuen Heimat.

((ooc: Dieser Stand ist nicht aktuell, Fortsetzung folgt sobald als möglich!))
12.10.2011 18:40:16
Aw: Die Bewährung (#52488)
Ylenavei
Lichtblicke (...und zweitens als man denkt.)

Kaum gewahrte Ylenavei die steil aufragenden Häuser zu beiden Seiten der Strasse, kaum die vorbeieilenden grossen Menschen ringsumher. Es kümmerte die junge Elfe kaum, dass ihre Füsse sie nach Mirhaven getragen hatten, welches ihr in diesen Tagen nicht mehr oder weniger recht war als die anderen Orte. Einzig der Hafen hatte den müden Gedanken geweckt, Kapitän Swift um eine Überfahrt aufs Festland zu ersuchen. Doch würde sie dort nicht ebenso ziellos umherirren, wie hier? So hatte die Waldläuferin den Hafen vorbeiziehen lassen. Das Südtor der Menschenstadt kam bereits in Sicht, als sie voraus Hut und Bärenfellmantel eines wohlbekannten Wachmanns gewahrte.

Ihr Herz suchte gleichzeitig einen Sprung zu tun und sich jäh zu verkrampfen, als sie Rivan mitten auf dem Platz erkannte. Da war wieder dieses Kribbeln, welches sie in der Nähe des Silberwächters stets empfand, diese belebende Wärme. Doch in diesem Augenblick brach auch die Gram wieder über die junge Elfe herein. So wohl sie sich stets in der Gesellschaft Rivans fühlte, erfüllte sie der Gedanke an ihr nicht gehaltenes Versprechen sie mit Kummer. Es schien ihr nicht recht, ihre eigene Sicherheit in einer Welt zu versprechen, die so wenig Sicherheiten zu bieten hatte wie Amdir.

Als die Worte Rivans und seines Gegenübers, einer grossen Gestalt in dunkler Kapuzenrobe, an ihre Ohren drangen, wischte die Neugier Ylenaveis von Enttäuschung und Mutlosigkeit getrübte Gedanken beiseite. Seit sie das wundersame Diadem trug und beherrschte, welches ihr der Silberwächter unlängst geschenkt hatte, war sie in der Lage, Gespräche auch auf belebter Strasse auf einige Schritt Entfernung zu verstehen.

Die beiden Männer diskutierten lebhaft über ihren Glauben und die Götter. Rivan suchte dem Robenträger in seiner lebendigen Beredsamkeit seine Zuneigung zu Tymora, der Göttin des Glücks, auseinander zu legen. Der Dunkle schien jedoch wenig Achtung vor dieser Glaubensrichtung zu haben. Rivan vetraue sich dem Schicksal an, wie dem Fall einer Münze, interpretierte der Fremde die Worte des Silberwächters, auf dass er seinen Kopf bei einem schlechten Wurf an ein Beil verlöre. Kalte Beklommenheit zog schwer an Ylenaveis Seele, als sie die dunkle Robe musterte.

Rivan suchte eben auf die tiefere Bedeutung des Tymora-Kults hinzuweisen, welche dem Fremden zu entgehen schien, als er sich plötzlich abgelenkt umsah und mit aufleuchtenden Augen einen Schritt auf sie, Ylenavei, zu tat. Erst jetzt gewahrte die junge Elfe, dass sie sich den Beiden langsam genähert hatte, und verharrte.

"Würdet Ihr dies auch dann noch sagen, wenn das verehrte Schicksal Euch erst einmal Leid und Tod spüren lässt?", kommentierte der Fremde Rivans Ausführungen kalt, "wisset, dass bloss ein Wort zwischen Euch und dem Tode steht. Was wäre zum Beispiel, wenn diese Elfe, auf welche Ihr zugingt, hier und jetzt sterben würde?"

Eisiger Schrecken griff nach Ylenavei, als sie diese Worte vernahm. Ein beängstigendes Gefühl sagte ihr, dass der Robenträger seine Worte todernst meinte. Da war eine Macht um ihn herum, die an den offenen Sinnen der jungen Waldelfe nagte. Ging dieses Empfinden etwa von dem Ring aus, der dort an der Hand des Fremden blitzte?

"Welchen Reiz hätte ein Spiel ohne die Möglichkeit zu verlieren?", antwortete Rivan in diesem Augenblick. Der Schrecken verlor sich im Schmerz neuerlicher, jäher Enttäuschung. So sollte es um die Treue, die freundschaftlichen Bemühungen des Silberwächters bestellt sein? Alles nur ein Spiel? Ylenavei ballte die Fäuste, mühte sich, die aufsteigenden Tränen zurückzuhalten, und wagte nicht sich zu regen.

Doch der wortgewandte Rivan fuhr sogleich fort: "Tapferkeit, Zuversicht und Liebe sind der wahre Segen meines Glaubens, der mir die Kraft schenkt, mich Herausforderungen zu stellen. Und bislang bin ich dank diesem noch jedem Beil entgangen!"

Oblgeich innere Furcht und Anspannung aus den Worten des Menschen sprachen, rührten sie in Ylenavei etwas an. All ihre Enttäuschung wich lebendiger wärme, und eine Flut neuer Gedanken wogte durch ihren Geist. War das Ziel einer Suche nach Heimat denn zwingend ein Ort? Bot nicht ebenso ein Glaube Geborgenheit, oder die Gewissheit, treue Gefährten zu haben?

Die junge Elfe gewahrte sich näher an Rivan herantreten. Es drängte sie danach, dem Silberwächter ihre Unterstützung kundzutun, doch warnte eine innere Stimme, dass ihr Leben um so schärfer auf Messers Schneide stehen mochte, je mehr die Aufmerksamkeit des dunklen Fremden ihr zuteil wurde. "Mut und Zuversicht sind wahrhaft kostbare Verbündete, welchen grosse Achtung gebührt", warf Ylenavei schliesslich ungerichtet in die Diskussion ein. Ihr Herz tat einen Sprung als sie gewahrte, dass Rivan ihre Absicht voll und ganz verstand.

Der Silberwächter straffte sich und sah den dunklen Fremden mit neuer Entschlossenheit an. Schweigend beobachtete die junge Waldelfe, wie das Gespräch sich nun in Richtung eines Verhörs wandte, wie Rivan den Fremden mit der Autorität eines Stadtwächters überzeugte, sein Gesicht zu zeigen und schliesslich seinen Namen zu nennen. Das einäugige, von Blässe und schier unnatürlichen Entbehrungen gezeichnete Antlitz drängte sich so sehr in Ylenaveis Bewusstsein, dass sie dem Namen keine Aufmerksamkeit entgegenbrachte. Vielmehr glaubte sie, ihre Knie würden vor Erleichterung bald nachgeben, als der Fremde sich nach einem hitzigen Wortgefecht schliesslich abwandte und Rivans Anweisung Folge leistete, die Stadt umgehend zu verlassen.

Die junge Elfe spürte, dass 'ihr' Ritter ihre Erleichterung teilte. Kaum waren sie unter sich, lösten die wirbelnden Gefühle Ylenaveis Lippen und sie erzählte Rivan die ganze Geschichte von ihrer Wanderung nach Norden, dem Streifzug durch die Berge, dem Unwetter, ihrem unfreiwilligen Besuch in den Zwergenminen, der Begegnung mit Valard und ihrer Enttäuschung, als er sie quasi des Landes verwies. Der Silberwächter hörte gebannt zu, und je länger sie in seine blauen Augen sah, desto törichter fühlte Ylenavei sich selbst, dass sie sich nach dem Erlebten in irgendeiner Weise schuldig geglaubt hatte.

Schliesslich, als die junge Waldelfe ihre Geschichte beendet hatte, lächelte der Mensch sie beinahe schelmisch an und begann, die Worte des Erkatam in den Bergen in seiner unglaublichen Redegewandtheit neu zu interpretieren. Seine Argumente erschienen Ylenavei an den Haaren herbeigezogen, wollte er doch aus einer früheren allgemeinen Unterstützungszusage Andariels herleiten, dass diese bereits für sie, Ylenavei, bürgen würde, was einen Zugang zur Binge Telodur betreffe. Wenngleich der Gedanke, die Zwergenwachen damit überzeugen zu wollen, mehr als gewagt war, musste die junge Elfe über Rivans Eifer lächeln und schliesslich sogar lachen.

Gemeinsam schlenderten sie durch die Stadt und, nachdem der Silberwächter Dienstschluss hatte, durch die Lande südlich Mirhavens, und Ylenavei genoss jeden Augenblick des gemeinsamen Streifzugs. Schliesslich nahmen sie voneinander Abschied, mit mindestens ebenso tiefem Bedauern wie all die Male zuvor, und erfüllt von dem guten Gefühl, zumindest einen, wenn auch nicht räumlich greifbaren, Platz auf Amdir zu haben, wandte die junge Waldläuferin sich den südlichen Gefielden der Insel zu.

[...]

Ihre Wanderung hatte Ylenavei schliesslich nach Hohenbrunn geführt. Das Dorf der Hin schien ihr ein guter, beschaulicher Platz, um ihre in den jüngsten Tage so bewegten Gefühle zu ordnen und vielleicht jene Habseligkeiten zu reparieren oder zu ersetzen, die das unfreiwillige Bad im Bergsee nicht unbeschadet überstanden haben mochten.

Auf dem Marktplatz herrschte rege Betriebsamkeit wie eh und je, doch gewahrte die junge Waldelfe bald zwei Gestalten, die dort ungewöhnlich erschienen. Eine silberhaarige Mondelfe und ein kräftiger Erkatam schienen sich dort angeregt zu unterhalten, gar wie enge Freunde miteinander zu scherzen. Jäh kehrten Verwirrung und Enttäuschung über das Verhalten der Zwerge auf Amdir in ihr Bewusstsein zurück. Waren diese Erkatam so uneins in ihrer Haltung, wie man es für gewöhnlich den Menschen nachsagte? Wie stand es nun wirklich um das vielgelobte angebliche Bündnis?

Noch ehe Ylenavei sich in trübsinnigen Überlegungen verlieren konnte, gewahrte sie, dass auch einer der Hin den beiden Fremden Aufmerksamkeit schenkte, sogar auf sie zuging und sie herzlich begrüsste. Dann winkte der Halbling auch sie selbst herbei, und von Überraschung und Neugier bewegt trat die junge Waldelfe auf die Gruppe zu.

Laihel, die mondelfische Waldläuferin und Bolnar, der Zwergenpriester, schienen wahrlich schon länger eine Freundschaft zu pflegen. Der Hin, Ben [?], nannte er sich, glaubte in ihnen allen Abenteurer zu erkennen, welche ihm bei einer Schatzsuche beistehen mochten. Der kleine Mann war offen und herzlich, und Ylenavei verspürte eine warme Behaglichkeit, wie sie mit der Gesellschaft der Hin und Gnome und dem friedlichen Flecken Hohenbrunn häufig einherging. Eine Schatzsuche in solcher Gesellschaft mochte sie eine Weile von den düsteren Schatten ablenken, welche in ihren neu geschärften Sinnen stetig über Amdir dräuten.

So bedauerte Ylenavei sehr, dass das Gespräch sich ebendiesen Schatten zuwandte, und als Ben fragte, was sie drei über solch mysteriöse Dinge wissen mochten, hörte sie sich hilflos selbst äussern, dass ihr derzeit das widersinnige Verhalten der Zwerge mysteriöser scheine als die Schatten Valvecs höchstselbst. Die junge Elfe wollte sich auf die Zunge beissen und suchte rasch abzulenken. Doch Ben schien dies alles sehr zu interessieren, und schliesslich berichtete Ylenavei in kurzen Zügen von der Begegnung mit Valard, wobei sie ihren unfreiwilligen Besuch in den Minen jedoch erneut ausliess.

Laihel und Bolnar schienen nicht glauben zu wollen, was sie hörten, und die junge Waldelfe empfand beinahe Neid, als sie erklärten, Laihel habe niemals Schwierigkeiten bekommen, wenn sie mit Bolnar die Binge besuchte. Schliesslich zollte Ylenavei den Göttern stummen Dank, als Ben auf seine Schatzsuche zurückkam und sie, den Anweisungen eines alten Tagebuchs folgend, aus dem Dorf führte.

[...]

Ihr Weg hatte sie in die Nähe der Ideenschmiede geführt, jenes höchst seltsamen Anwesens mit der leuchtenden Umzäunung nahe Hohenbrunns. Schon vermochten sie die Zelte der Ritterschaft, welche sich dort zur Untersuchung des Leuchtturms von Ansgard sammelte, in den nahen Hügeln zu erkennen, als eine rauhe Stimme Bens Aufmerksamkeit erregte und den Zug zum Halten brachte.

Oberhalb der Strasse winkte ein älterer Erkatam von seinem Lager aus herab. Wenngleich das von Erfahrung gezeichnete Gesicht etwas freundliches an sich hatte, verspürte Ylenavei jähes Unwohlsein, als Ben sie nach einem kurzen Wortwechsel auffordete, auch diesem von ihrer Verunsicherung zu berichten.

Zu ihrem Erstaunen machte der Erkatam, welcher sich Alberich nannte, grosse Augen, als sie von der Begegnung mit Valard erzählte. Mit dem wortknappen Eifer der Zwerge suchte Alberich richtig zu stellen, was offenbar von Fehlinformation und mangelnder Gesprächsbereitschaft der Erkatam untereinander verfälscht an ihre, Ylenaveis, Ohren gelangt war.

Die junge Waldelfe spürte neue Hoffnung in sich aufkeimen, als Alberich ihr versicherte, die Binge Telodur und das Umland ständen ihresgleichen zu jeder Zeit offen, und sie mochte sogar ein Schürfrechte für die Zwergenminen erbitten. Ylenavei lächelte erleichtert. Fehlinformationen waren angesichts der wortkargen Sprachgewohnheit der Erkatam eine sinnvolle Erklärung für das offensichtliche Missverständnis. Ebenso, wie sie Alberich ihre tiefe Dankbarkeit beteuerte, sandte sie stummen Dank an die hohe Dame des Waldes. Diese Welt schien weniger wirr zu sein, als sie bis hierhin erschienen war. Und vielleicht mochte die junge Waldelfe eines Tages jene freundschaftliche Verbindung zu dem Bergvolk finden, von welcher überall in solch grossen Tönen gesprochen wurde.

Weitaus leichteren Herzens setzte sie die Wanderung mit Ben und den anderen fort. Die Fährte aus dem Tagebuch des Hin führte sie schliesslich nach zwei Tagesreisen samt Nachtruhe in einem Fischerhaus bis vor die Tore Elborias. Hier sah sich Ylenavei zu ihrem tiefen Bedauern der Aufmerksamkeit ihres Lehrmeisters ausgesetzt, welcher sie wieder einmal bereits seit Tagen vermisst hatte. Den Boten Nogl'Vreals vermochte sie nicht abzuweisen, nicht, so lange ihre Lehre ihr einziges festes Bindeglied an die Elfenstadt darstellte. Noch war sie nicht bereit, sich gänzlich von Elboria loszusagen und sich allein der Wildnis zu verschreiben.

Dennoch zutiefst bedauernd verabschiedete Ylenavei sich von ihren neuen Gefährten. Mochte Kalreshaar ihre Wege wieder kreuzen lassen. Auch Laihel diente der hohen Dame des Waldes, und sie beide mochte mehr verbinden als Volk und Glauben. Und Bolnar schien zu jenen Erkatam zu zählen, welche der Welt ausserhalb Telodurs weit offener gegenüberstanden als manch andere seiner Sorte. Vielleicht mochte sie eines Tages von diesen beiden erfahren, was aus Bens Schatz geworden war. Oder sie mochte Ben in Hohenbrunn einen Besuch abstatten... wer wusste schon, was die Götter planten.

Nach einem herzlichen Abschied folgte Ylenavei dem Boten in den Talgrund von Elboria. Angesichts der klärenden Worte Alberichs erschien ihr auch dieser Ort nun nicht mehr ganz so falsch, wie ihn die Gedanken an das als ungleich angenommene Bündnis ihr ausgemalt hatten. Dies änderte jedoch nichts an der Verschwiegenheit und scheinbaren Trägheit seiner Bewohner, welche der jungen Waldelfe nach wie vor das Gefühl gaben, hier eine Fremde zu sein.
23.10.2011 19:17:14
Aw: Die Bewährung (#52771)
Ylenavei
Schweigend sass Ylenavei am Rand des Sees und sah auf das stille Wasser hinab. Gleich goldenen Sternen umgaben dort die kleinen Lichter des nächtlichen Hohenbrunns die junge Waldläufer-Fürstin, die ihr aus den schwarzen Tiefen entgegen sah.

Ein nachdenklicher, fragender Ausdruck stand in diesen Bernsteinaugen in sattgrünem Antlitz. Ihr goldenes Haar, welches im Mondlicht blass schimmerte, wurde von einem edlen Stirnreif gehalten, in dessen goldglänzender Oberfläche sich filigrane Einlagen aus hellerem Metall rankten. Die Verzierungen schienen im Schein der Nacht regelrecht zu glühen, ebenso wie jene kunstvoll mit Metallfäden gestickten Einhornsymbole auf ihren Armschienen.

Das hochwertige Leder erschien nahezu schwarz vor dem silbrigen Kettenhemd, welches den schlanken Körper der Fürstin im Teich gleich einem Gewand aus Myriaden geheimnisvoll schimmernder Tautropfen einhüllte und in langen Schössen über ihre Hüften fiel. Blattgrüne Applikationen aus ebenso hochwertigem wie robustem Gewebe zogen sich vom Halsansatz bis zur Taille daran hinab und verliehen der Trägerin die unaufdringlich schlichte Eleganz eines Stück wilden Landes unter dem kühlen Schleier eines neuen Morgens.

Um den Leib der jungen Elfe im dunklen Wasser wand sich ein Waffengurt aus ähnlich kostbarem Leder, wie es auch ihre Armschoner formte. Daran aufgehängt funktelte das silberne, gleich einem schmalen Blütenblatt geschwungene Heft eines schlanken Rapiers, dessen Spitze in schmaler Scheide den Schaft eines anschmiegsamen wie formschönen Lederstiefels sacht berührte. Um die Schultern der schlanken Fürstin lag schützend ein langer Mantel aus dem Sommerfell eines Bären, dunkelgrün im matten Licht der Nacht, am Hals zusammengehalten von einer funkelnden Einhornfibel.

Die edle Fürstin im Teich blinzelte zurück, als Ylenavei die Augen niederschlug. Obgleich sie dasselbe Haar, dieselbe Haut und dieselben Augen teilten, erschien der jungen Waldläuferin dieser Anblick fremd, welchen das Wasser ihr offenbarte. Sie sah eine Edeldame ihres Volkes vor sich, aufs Kostbarste gewandet und mit Insignien geschmückt, die von grosser Macht und ergebenem Dienst an Kalreshaar sprachen.

Doch Ylenavei war bloss die Tochter eines Waldläufers, die der Berufung ihres Vater zu folgen wünschte und anstrebte, sich in dieser Aufgabe zu bewähren. Aber was hatte sie in ihrem Dienst an den lebenden Dingen schon vollbracht? In Elboria, welches so hartnäckig schwieg und sich so wenig um die Welt ringsum zu kümmern schien, vermochte sie nicht Fuss zu fassen. Selbst die Lehre bei Meister Nogl'Vreal hielt sie nicht lange dort, sobald die Arbeit in der Werkstatt getan war.

Die anderen Völker schienen nicht viel Musse für Gedanken um eine einfache Waldläuferin zu haben - sah man einmal von Zwergen ab. Es hatte Ylenavei nach allem Erlebten freilich überrascht, vor den Toren Elborias erneut auf Valard Heldenherz zu treffen, und mehr noch, dass dieser ihr angeboten hatte, sie höchstselbst in die Diamantminen von Telodur zu eskortieren, wenn sie erst eine Schürfgenehmigung hätte. Inzwischen hatten sie die Stollen tatsächlich besucht, die Erd- und Wassergeister das Fürchten gelehrt und Diamanten abgebaut. Dieser seltsame Dwar, in dessen Adern Drachenblut floss, wie es hiess, schien in überraschenderweise Interesse an ihrem Schicksal zu haben.

Doch die Gedanken an die Zwerge gingen stets mit Schuldgefühlen einher. Ylenavei sah auf die Fürstin im Teich hinab, und das Befremden in ihr war grösser denn je. In den Augen der Zwerge zeugten die heiligen Metalle, welche überall am Leib der Edeldame funkelten und glommen, von grösstem Vertrauen und noch höheren Ehren und Verdiensten als in den Augen aller anderen Völker zusammen.

Einzig jene Nichtzwerge, die vom Bergvolk mit höchsten Ehren gesalbt und sich Angdorner - Zwergenfreund - nennen durften, hatten in den Augen der Erkatam das Recht, ihre geheiligten Metalle, Mithral und Arandur, am eigenen Leib zu tragen. Wenngleich Valard ihr dies erklärt hatte, hatte er der jungen Waldelfe doch in keiner Weise untersagt, ihr kostbares Kettenhemd weiter zu tragen. Um so mehr fühlte Ylenavei sich den Zwergen gegenüber verpflichtet, wenn nicht gar schuldig, diesem gewaltigen Vorschuss an Achtung und Vertrauen gerecht zu werden. Wenn sie nur wüsste, wie sie dies jemals bewerkstelligen könnte...

In die Bekämpfung der Untoten am Leuchtturm von Ansgard, zu welcher Telodur anders als die Stadt Elboria seine Hilfe angeboten hatte, setzte sie nur noch wenig Hoffnung. Die Ritter, welche an der nahen Küste lagerten, schienen nicht einen Gedanken an die junge Spurenleserin zu verschwenden, die schon seit mehr als einem Zehntag [beim Lager weilte] und ihre Mithilfe angeboten hatte. Selbst Rivan Fearis' blumige Worte hatten keinerlei Aufmerksamkeit auf sie lenken können.

Rivan Fearis Silberwächter. Der Mensch, welcher Ylenaveis Gedanken - und noch mehr - in jedem müssigen Augenblick bewegte, hatte massgeblich dazu beigetragen, dass die junge Waldelfe sich selbst gegenüber solches Befremden empfand. Seine übermässig grosszügigen Gaben waren wohlgemeint, glaubte die junge Waldelfe doch zu wissen, dass 'ihr' Ritter alles tat, um sie in bestmöglicher Weise beschützt zu wissen.

Und dennoch war es Rivans düsterer Schatten gewesen, welcher sie beide unlängst eingeholt hatte. So wie jeder Gedanke an das Lächeln und die blauen Augen des Silberwächters Ylenavei mit lebendiger Wärme erfüllten, folgten ihr die Erinnerungen an jene entsetzliche Stunden [auf der Ebene von Andorien], in welchen sie hilflos um Rivans Leben gebangt hatte, nach wie vor mit kaltem Schrecken bis in die Entrückung.

Was geschah nur mit ihr, dass dieser Mensch ihre Seele so sehr in Aufruhr zu bringen vermochte? Wenn des Nachts miteinander in die Sterne schauten, oder auf grüner Aue ausgelassen mit ihren Klingen übten, wünschte Ylenavei nichts mehr, als dass diese Momente niemals enden würden. Wenn sie Rivans Nähe spürte, beim gemeinsamen Ritt auf einem der Pferde, oder nach einem missglückten Streich im Duell, welcher für sie in des Menschen Armen endete, fühlte die junge Elfe ihr Herz heftig klopfen und ihre Sinne Saltos schlagen, und sie genoss es. Mochten diese leichten Tage niemals mehr zuende gehen!

Doch wenn es Nacht wurde, und ihre Gedanken in Einsamkeit zur Ruhe kamen, kehrten Schatten und Ungewissheit jedes Mal zurück. War wirklich alles gut, was die Lande Amdirs und ihre Bewohner mit ihr geschehen liessen? Würde sie die kostbar gewandete Edeldame, welche das Wasser ihr zeigte, jemals finden? War dies wirklich der Weg in den Dienst der hohen Dame des Waldes? Würde sie gegen Tücke und finstere Kräfte in dieser Welt bestehen können?

Langsam löste sich ein erster Tautropfen aus einem der Zweige über dem Teich, fiel auf die spiegelnde Oberfläche hinab. Wellen kräuselten das Wasser und liessen das Bild darin verschwinden. Die Ungewissheit jedoch blieb.
14.02.2012 15:34:39
Aw: Die Bewährung (#56555)
Ylenavei
[b]In kalten Klauen[/b]

Trübe Dunkelheit hing über den schweigenden Spiegelauen, liess den stummen See, den sie umgaben, tiefschwarz und bodenlos erscheinen. Kein Mond erhellte diese Nacht, keine Sterne zierten das schwarze Tuch, welches den vormals so strahlenden Glanz des Firmaments verhüllte. Reglos und klamm lag die allgegenwärtige Kälte über den Auen, deren einstmals sattgrüner Wuchs sich kraftlos unter dem eisigen Schleier duckte.

Zum Schutz vor Wind und Frost fest in ihr Bärenfell gehüllt kauerte Ylenavei am Ufer des Sees, ihrem verlöschenden Herdfeuer den Rücken zugekehrt, und sah auf das Bild hinab, welches der schwarze Spiegel ihr offenbarte.

Wenig war von der Fürstin im strahlenden Gewand geblieben, welche einst - nein, unlängst - von dort zu ihr emporgesehen hatte. Ein müdes, blasses Geschöpf verharrte nun dort in den schwarzen Tiefen, sah aus Bernsteinaugen zu ihr auf, die von Furcht und Kummer brannten. Furcht vor den Schatten, die sich ihrer Erinnerungen, ihres Geists, ihrer Träume bemächtigten, Furcht, dass allein die Existenz dieser Schatten ihr den letzten Rest der Heimat nehmen mochte, welche sie auf Amdir gefunden zu haben geglaubt hatte, brannte in Ylenaveis Seele ebenso wie der Kummer angesichts ihrer Hilflosigkeit.

Viel, so viel war in den wenigen vergangenen Monden geschehen, hatte den Glanz, die lockende Grösse einer hoffnungsvollen Zukunft verblassen lassen. Bilder von feuerzüngelnden Klippen, alles erdrückenden Säurestürmen, dem Schatten, der unerbittlich über sie kam, nach ihrem Innersten gierte, kreisten unermüdlich im Geist der jungen Waldelfe, trübten ihre Sinne mit Verzweiflung. Ylenavei schluchzte leise auf, als das Bild vor ihren Augen von kreisrunden, kräuselnden Wellen verwischt wurde, und blinzelte schaudernd gegen die Tränen an.

[b]Pfade der Wandlung[/b]

Die Unrast der Elemente hatte Amdir den Frost gebracht, und Rivans Schatten die schmerzliche Kälte in Ylenaveis Seele. Nur wenige Tage ehe der eisige Hauch sich über die Insel legte hatte der Paktierer der jungen Waldelfe nicht nur beinahe ihre leibliche Kraft zum Leben geraubt, sondern, und das wog ungleich schwerer, um ein Haar ihre Seele zerbrochen, welche sie ihm in der Not der jüngsten [url=http://www.amdir.org/index.php?option=com_kunena&func=view&catid=14&id=54297&Itemid=128]Neumondnacht[/url]verweigert hatte.

Diese Schwärzeste aller Nächte war der vorläufige Endpunkt eines Weges gewesen, welcher für das unbedarfte Elfenmädchen Ylenavei, das aus der Obhut Rarnasils nach Amdir gekommen war, letztlich ungangbar gewesen war.

Am Anfang war die Insel von Abenteuern erfüllt gewesen, von aufregenden Wundern, die es an der Seite des so lieb gewordenen Freundes und 'Ritters' Rivan Silberwächter zu erkunden gegolten hatte. In seine kostbaren, gar fürstlichen Gaben ebenso wie in seine blumig-schmeichelnden Worte gewandet war Ylenavei fast alles möglich erschienen, gleich einer Wiese voll blühender Träume, die zu einem bunten Strauss gepflückt werden mochten.
14.02.2012 15:42:51
Aw: Die Bewährung (#56556)
Ylenavei
[b]Die Ehrlichkeit des Schlachtfeldes[/b]

Selbst der gross angelegte Feldzug gegen die [url=http://www.amdir.org/index.php?option=com_kunena&func=view&catid=36&id=51043&Itemid=128]Untoten auf Ansgard[/url] war ihr wie ein heldenhafter Streich erschienen. Die anfängliche Ignoranz ihres Daseins seitens der ritterlichen Beschützer, die eben jene Unternehmung anführten, war wohl höchst unbefriedigen, letztlich, mit der Selbstverliebtheit einzelner Paladine erklärt, jedoch erträglich gewesen.

Dahingegen hatte das anfänglich so schweigsame Elboria endlich Leben gezeigt, als nach der jungen Waldelfe weitere junge Geschwister den Weg in das Tal der ihren gefunden hatten. Im Haus Elenath, der Sternenschar, schien es erstmals so etwas wie einen Platz für sie als Tel´Quess zu geben. So hatte das Abenteuer Ansgard an jenem Tag, da die Zwerge zu diesem Feldzug nach ihren Bündnispartnern riefen, eine weitere Triebkraft gefunden. Unter dem Banner der Sternenschar hatte die Ylenavei ihren Geschwistern eingeladen, gegen die Feinde der lebenden Geschöpfe zu ziehen.

Dieser Schritt mochte richtungsentscheidend für Ylenaveis weiteren Weg gewesen sein. Nicht nur waren tatsächlich zwei ihrer Schwestern ihrer Einladung gefolgt, die junge Waldelfe hatte sich zudem gänzlich unversehens mit dem Kommando über die am Feldzug beteiligte Fernkampfeinheit wiedergefunden. Mit diesem Vertrauensvorschuss mochte Sir Willard Pakusch, der Oberste der ritterlichen Beschützer, den Anstoss zu bald folgenden Veränderungen in der Sternenschar gegeben haben.

Die [url=http://www.amdir.org/index.php?option=com_kunena&func=view&catid=36&id=51043&limit=6&limitstart=24&Itemid=128]Schlacht von Ansgard[/url] selbst hatte sich jedoch als Gang durch die sieben Höllen erwiesen. Nichts heroisches war an jenem unerbittlichen Sturm gegen das entfesselte Grauen gewesen. Wie ihm Wahn waren die Streiter der vereinten Völker die steilen Klippen Ansgards hinaufgestürmt, mitten hinein in die höllischen Schrecken, die sich die steilen Wände hinab auf und zwischen sie ergossen hatten. Bis zur Erschöpfung hatte Ylenavei um das nackte Überleben ihrer selbst und ihrer Einheit gekämpft, und dass sie alle lebend aus der Schlacht gefunden hatten, war ihr grösster, wenn nicht einziger Sieg gewesen.

In der entzauberten Leere zwischen so sinnloser Zerstörung, Erschöpfung und Wundschmerz hatte sich schliesslich unvermittelt Raum für das Sehnen ihres Herzens und [url=http://www.amdir.org/index.php?option=com_kunena&func=view&catid=36&id=51043&limit=6&limitstart=30&Itemid=128]in Rivans Armen[/url] süsser Trost angesichts ihres brüchig werdenden Weltbilds gefunden.
14.02.2012 17:01:46
Aw: Die Bewährung (#56560)
Ylenavei
[b]Unerbittliche Feinde[/b]

Die leiblichen Spuren der Schlacht mochten bereits verheilt sein, doch begann Ylenaveis Seele eben erst langsam zur Ruhe zu finden. Wann immer sich die junge Waldelfe seit dem Sturm auf den Leuchtturm einer hoch aufragenden Steilwand gegenüber sah, erweckte dieser Anblick den Schrecken der Schlacht erneut zum Leben. So ergriff sie auch und gerade in den engen Strassenschluchten Mirhavens stets zermürbendes Unbehagen. Um so dankbarer war Ylenavei für jede Stunde, welche sie mit ihrem Gefährten - denn seit Ansgard fühlte sie sich in dieser Weise mit Rivan verbunden - in den wilden Landen jenseits aller Mauern verbringen durfte.

In einer solchen Stunde hatte der Silberwächter ihr erstmals von den so sehr düsteren Wegen erzählt, die er in einem Ermittlungsauftrag der seinen zu gehen gedachte. Hätte die junge Waldelfe damals gewusst, welcher Wahnwitz in jener Aktion lag, die Rivan ihr darlegte, so hätte sie vieles mehr darum gegeben, ihren Liebsten von seinem selbstmörderischen Plan abzubringen.

Doch an jenem Tag hatte, aller Korruption und allem fehlenden Rückhalt in der Wache zum Trotz, das Vertrauen in die gemeinsame Stärke der Liebenden gesiegt. Denn Rivan hatte darauf bestanden, sich an der abgelegenen [url=http://www.amdir.org/index.php?option=com_kunena&func=view&catid=36&id=49247&limit=6&limitstart=12&Itemid=128]Adlerküste[/url] mit einem Informanten aus Valvec zu treffen und sie, Ylenavei, gebeten, dort unter dem bergenden Mantel der Wildnis seinen Rücken zu decken. Das Ganze hatte nach einer Falle geschrien, doch als der Silberwächter sich von diesem Weg nicht hatte abbringen lassen, hatte die junge Elfe sich mit der Dankbarkeit begnügt, ihn nicht allein dorthin gehen zu wissen.

Reue und Schuld, welche später mit jeder Erinnerung an dieses Gefühl, diese Entscheidung ihr Herz beschwerten, brannten so heiss wie die Säure im Sturm des Grauens es getan hatte. Denn was ein Wissensaustausch hatte sein sollen, hatte sich, kaum dass die beiden Gefährten die Adlerküste erreicht hatten, als sinnloses Gemetzel, als Auswuchs kältester Grausamkeit entpuppt.

Anstelle eines wartenden Informanten hatten sie Yien in höchster Not in den Klauen zweier metallener Spinnen-Monstren gefunden, welche angesichts stofflicher Bedrohungen - Perdehufe wie Klingen - gänzlich unverwüstlich schienen. Einzig saure Pfeilspitzen hatten ein wenig Zeit verschafft, jedoch nicht genug, nicht einmal um Kalreshaars überraschenden Segen wirksam einzusetzen.

In den Wirren des Kampfes, angesichts der unerbittlichen Bedrängnis, in welcher Ylenavei ihren Gefährten sah, hatte die hohe Dame ihrem Schmerz und Zorn eine Gestalt gegeben, hatte sie selbst mit dem Panzer und mächtigen Klauen eines Erdkolosses gesegnet. In ihrer grenzenlosen Überraschung war es der jungen Elfe jedoch nicht gelungen, Rivan und den anderen in dieser Gestalt zur Hilfe zu eilen, ehe der segen verflog.

Stattdessen hatte sie sich selbst inmitten der in rätselhafter Weise wachsenden Zahl von Kämpfern, inmitten des grausamen Wütens wiedergefunden, nur mit dem Rapier in der Hand im Angesicht adamantener Ungetüme. Ylenavei hatte jedoch nicht aufgegeben, hatte ihre so wirkungslose Waffe gegen Rivans Angreifer gewandt, in der Hoffnung, Seite an Seite mit dem Gefährten den Schrecken auch von Yien und den anderen vertreiben zu können - um ihnen endlich Hilfe und Heilung zukommen lassen zu können.

Es hatte sich angefühlt, als greife eine unerbittlich harte Hand nach ihrer Seele, als risse sie das Leben selbst aus ihrem Leib heraus. Gänzlich unvermittelt hatte die unbeschreibliche Eiseskälte die junge Waldelfe mitten im Streich gefesselt. Ihr Blick hatte den Rivans getroffen, sich an seinen Augen festgeklammert, während sie, unfähig zu atmen, das Leben aus ihrem Leib weichen spürte.

Nach einem quälend langen Augenblick war es vorbei gewesen. Nach Atem ringend hatte Ylenavei mit angesehen, wie die Streitenden ringsumher zu Boden sackten. Einzig ihr tapferer Silberwächter stand noch auf beiden Füssen, und die aufflammende Verzweiflung in Rivans Augen löste ihre Erstarrung, erfüllte ihre Glieder mit dem Drang, sich gemeinsam mit dem Gefährten der verbliebenen Metallspinne anzunehmen.

Doch das Rapier war schwer geworden, die Luft zäh, als wehrte sie sich dagegen geatmet zu werden. Gegen bleierne Lähme ankämpfend hatte die junge Waldläuferin zwischen nun schwerfälligen Hieben nicht gewahrt, wie der Himmel sich in widernatürlicher Weise verdunkelt hatte. So hatte der finstere Sturm sie gänzlich unvermittelt getroffen, und einzig der Reflex das eigene Antlitz mit Armen und Händen gegen jähen Hagel zu schützen, hatte ihre Züge vor dem brennenden Werk der Säure bewahrt, die in peitschendem Zorn auf das Schlachtfeld herniederprasselte.

Blindlinks, rückwärts taumelnd, war Ylenavei aus dem unnatürlich scharf begrenzten Sturm hinausgetaumelt, den glühenden Schmerz kaum gewahrend, der sich unerbittlich unter den Armschutz ihrer Bogenhand frass. Erst ein dumpfer Stoss in ihren Rücken hatte ihre Flucht beendet. Endlich hatte die junge Elfe gewagt, die Arme sinken zu lassen und einen Blick auf die Äste zu riskieren, die sich über ihr wölbten. Ein Baum stand in ihrem Rücken, stützte ihren keuchenden Leib, der unentwegt verzweifelt nach Atem rang.

Der Sturm, welcher eben noch vor Ylenaveis Augen getobt hatte, legte sich ebenso rasch wie er gekommen war. Doch ehe der allgegenwärtige beissende Rauch sich verzogen hatte, ehe sie einen klaren Blick auf das Schlachtfeld hatte erhaschen können, hatte sich ein kalter Schraubstock um ihren Arm geschlossen, hatte eine Gestalt sie an sich gerissen.

Die junge Waldelfe hatte kaltes Metall an ihrer Kehle gespürt, und ein feines, zermürbendes Brennen, das davon ausging, während ihr Herz im zitternden Leib raste und ihre Lungen nur mehr nach Atem schrien.

Fremdartige, harte Laute waren von den Lippen der Frau gedrungen, die sie dort, am Abgrund des Todes, in Klauen hielt, und eine Aufforderung an die verbliebenen Kämpfer - bei den Göttern, es gab Verbleibende! - die Schlacht zu beenden. Diese wenigen, endlos langen Sekunden Auge in Auge mit dem absoluten Ende, dem schwarzen Abgrund jenseits des weges nach Arvandor, hatten sich in Ylenaveis Seele eingebrannt, hatten gleich der säure ihre Spur hinterlassen, bis der eiserne Griff verschwand und ihre Knie unter dem geschwächten Leib nachgaben. Anstelle des schwarzen Abgrundes war ihr der Boden entgegen gekommen, hatte ihr kaum Halt geboten, ehe ihr Rücken in gleissendem Schmerz explodiert war.

Als das Gleissen sich gelegt hatte, einem schmerzlichen Pochen gewichen war, welches gegen jeden ihrer schweren Atemzüge revoltierte, übersah Ylenaveis Bernsteinblick ein Bild des Grauens. Das Schlachtfeld selbst war ein gequältes, verbranntes Stück Land gewesen, in welchem ebenso zerschlagene Gestalten reglos lagen. Die Klarheit, mit welcher die einzige Bewegung in ihrem Sichtfeld in ihren Geist gedrungen war, hatte der jungen Waldelfe schier das Herz zerissen.

Mit der letzten Kraft der Verzweiflung war Rivan auf sie zugekrochen, unfähig auf seinen schwer blutenden Beinen zu laufen, den Blick von rötlichen Säurespuren in seinem Antlitz verschleiert. Die unverhohlene Sorge in seinen Augen, Sorge um sie, fand ihr Echo in Ylenaveis Seele, als ihre Sicht in Tränen verschwamm. Die letzten wenigen Schritt schleppte sie sich ihrem Gefährten entgegen, tastete mit bebenden Händen nach den Wunden des Liebsten, suchte seine Lebenssäfte mit blossen Fingern in ihm zurückzuhalten. Schwer atmend sandte sie ein Stossgebet an Kalreshaar. Wärmendes Leben floss in die Glieder des Menschen, liess sein Blut versiegen, während ihre wunde Rippe, ihre brennende Hand gegen das mächtige Strömen aufbegehrten.

Der Blick des Silberwächters aus seinen verschwellenden Augen hatte sich geklärt, seine schmerzgezeichneten Züge sich sichtlich entspannt, als Ylenaveis Lippen 'ich bin wohlauf' gelogen hatten. "Du musst den anderen helfen", hatte der tapfere Mensch noch hervorgebracht, ehe er unter ihren Händen in erlösende Ohnmacht entglitten war. Ihr Herz hatte danach geweint, an der Seite des Gefährten auszuharren, doch ihr Verstand war Rivans Worten gefolgt. So hatte die zerschlagene Elfe sich zu den anderen Verwundeten weitergeschleppt.

Da lag Yien, von Blut bedeckt, und unweit von dem reglosen Leib der Magierin, war das Rivans Kamerad Turc? An der Seite Yiens war Ylenavei in die Knie gesunken und hatte die Augen geschlossen, bis das protestierende Pochen in ihrem Rücken nachliess. Als sie endlich die Lider hob und die Hände auf die blasse Haut der Menschenfrau legte, folgten dieses Mal keine belebenden Ströme. Stattdessen verspürte die junge Waldelfe eine Widerstand in ihrem Innern, als laufe ihre Seele selbst gegen eine steinharte Wand.

Benebelt von dem jähen Rückstoss wie von ihrem schmerzenden Leib gewahrte Ylenavei erst jetzt das Ausmass der Tragik vor ihr. Yien war tot. Einer der Arme der jungen Frau war nahezu von der Schulter getrennt, doch kein Blut drang aus der Wunde, kein Atem regte sich in ihrer Brust. Eisige Hilflosigkeit griff nach Ylenaveis Herz, die sich nur mehr steigerte, als sie gewahrte, dass Turc der Magierin wahrscheinlich bald folgen würde. Und sie konnte nichts dagegen tun.

An die folgenden Stunden erinnerte die junge Waldelfe sich später nur durch einen Schleier von Schmerz und Erschöpfung. Zahlreiche Helfer hatten sich auf dem Schlachtfeld eingefunden, hatten es irgendwie geschafft, Yien zurückzubringen. Thaltus, der drachenblütige Schmied, hatte Turc gerettet, indem er dem Verwundeten von seinem Blut gab. An der Seite Gennias, der Peredan, hatte Ylenavei selbst den Verbindungsschlauch dazu gehalten.

Bolnar, der Zwergenpriester, hatte sich hingebungsvoll um die Verwundeten bemüht, hatte ihren Brustkorb verbunden, ehe sie unter Gennias Mantel der Kälte zu entkommen gesucht hatte, die aus ihrem blutleeren Inneren herrührte. Schliesslich war ein Rettungstrupp der ritterlichen Beschützer erschienen und hatte sie alle auf magischem Wege in die Winterrache-Berge geführt. Allein das Verlangen, ihrem immernoch bewusstlosen Liebsten auf seiner Bahre nahe zu sein, hatte Ylenavei die Kraft gegeben, sich durch Schnee und Kälte und die quälend dünne Luft neben dem traurigen Zug einherzuschleppen.

In den Hallen des Lazaretts auf Burg Winterrache hatte die erschöpfe Waldelfe das einzige getan, was ihre Kräfte ihr noch gewährten: Sie hatte über den erwachenden Rivan gewacht und war schliesslich in seinen Armen in eine unruhige, von Schmerz und Grauen erfüllte Reverie hinweggedämmert. Erst in der Stille der ersten Stunden des nächsten Morgens hatte Ylenavei es fertig gebracht der Schwäche in ihren Gliedern wirklich nachzugeben und war in jenen heilsamen Schlummer gesunken, der so viel tiefer war als die gewohnte Reverie.

[...]

Ein Zehntag war vergangen, als der Schlummer die junge Elfe wieder losliess. Sie glaubte, auf Wolken gebettet zu liegen und fand sich, als ihre Sinne sich wiederfanden, in der prächtigsten Bettstatt, die sie je gesehen, geschweige denn genutzt hatte. Rivan hatte sie nach zehntägiger Wache voll grösster Freude und Erleichterung begrüsst. Seine Wunden waren weitestgehend verheilt, eben so wie Ylenaveis Leib vollkommen genesen schien. Einzig am Gelenk ihrer Bogenhand, wo sie Säure sich unter den Armschutz gefressen hatte, zierte eine schlanke Kerbe ihre glatte Haut, die sie stets an den verhängnisvollen Tag an der Adlerküste erinnern würde.

Obgleich sie das edle, kaminbeheizte Gemach mit dem prächtigen Bett in den Mauern von Burg Winterrache stets mit Rivans wärmender Gesellschaft, einem festlichen Mahl in den Federn und Hanalis seligen Flammen verband, die in den Armen des Silberwächters in ihrem Innersten geboren wurden, war der Schrecken der grausamen Übermacht Valvecs, welchen Ylenavei an der Küste durchlebt hatte, seither in den dunklen Winkeln ihres Geistes verblieben.

Wie ein Mahnmal für die stetig lauernde Bedrohung, für ihrer aller Verletzlichkeit warteten die Erinnerungen an den schwarzen Abgrund des Todes stets darauf, in einsamen Stunden ihren kalten Schleier über die junge Seele zu legen, welcher sie seit jenem schwarzen Tag an Falathorn so unerbittlich eingebrannt worden waren.