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07.05.2017 09:17:06
[Marja] Die Melodie des Lebens (#118100)
Drambuie
Sie sang leise vor sich hin, ein Lied, welches hier in seiner Tonfolge und Klang ungewöhnlich fremd erschien, doch floss es von ihren Lippen, wie schon tausendmal gesungen. Ein erster Schmetterling taumelte sonnentrunken vor ihr herum. Weiß war er, mit einem dunklen Punkt auf den Flügeln. Zuhause gab es diese Schmetterlinge auch im Sommer. Zuhause. So weit fort.

[i]Ihre Gedanken wanderten zurück: an das kleine Dorf Quearvarr. An die einfachen Leute dort, die zusammenhielten. An die dichten Wälder. An das Gut ihre Vaters. Die Ordnung, die dort herrschte unter seiner gestrengen Hand, an den Spott in seiner Stimme, wenn er sich über die Dorfleute lustig machte. Der silberne Mond – war er auch der gleiche wie hier auf Amdir, so schien er doch in ihrer Erinnerung größer, leuchtender, näher. Sie fühlte in ihrer Erinnerung den Hauch der Nachtluft noch, wenn sie sich hinausschlich – fort von den Mauern des Gutes, hin zum Wald, zum Dorf. Hier fühlte sie sich freier und weniger beengt, als in dem starren Korsett der Bildung und Ausbildung, das ihr Vater für sie bereitgehalten hatte. Lesen, Kämpfen, Handarbeiten, Reiten, Singen – alles, was ein Mädchen so können musste, wenn es eine gute Partie sein sollte.

Der Norden mit seinem harschen Wetter, der die stolzen Illuskaner hervorbrachte. Er fehlte ihr. Und er fehlte ihr doch wieder nicht. Denn der wichtigste Teil ist ja mitgekommen hierher – Lukasz.[/i]

Die Sonne schien ihr auf den Rücken, sie arbeitete gebückt und bündelte das Schilf, mit dem das Haus gedeckt werden sollte. Ihre Hände taten weh, ihr Rücken schmerzte, wie auch ihre Beine – das Üben gestern forderte seinen Preis. Doch sie biss die Zähne zusammen. Jeder Blaue Fleck, jede Beule brachten sie ihrem Ziel ja näher, sie hatte es selber gewählt, ausgebildet zu werden. Hände, die sonst Saiten zupften, schnitten sich an den scharfen Stängeln. Egal. Und wenn das Schilf gebündelt war, würde sie wieder zu den Steinschnüren greifen und sie schwingen, wieder und wieder und fluchen und den Schmerz verbeißen, bis sie sie endlich schwingen konnte, wie ihr Lehrer von ihr erwartete. Aber bis dahin….

[i]
Er hatte sich verändert, seit sie von daheim geflohen waren. Aus dem schüchternen, schmächtigen Jungen, den sie seit Kindheit kannte, war ein junger Mann geworden, der nicht mehr von ihr beschützt werden musste. Im Gegenteil, es schien, als würden sich ihre Rollen umkehren. Aber sie hatte es doch immer getan? Sie hatte sich vor ihn gestellt, wenn die andern Kinder ihn hänselten. Sie hatte ihn verteidigt, wenn ihr Vater grollte. Sie hatte ihn abgeschirmt, wenn es nötig war.

Es war nun anders – und es war gut. Sie folgten ihren Pfaden. Und mal waren sie gerade und eben und mal war er verschlungen und holperig. Aber letztlich führten diese Pfade immer in die gleiche Richtung – die Zukunft. Und es weitete ihr Herz, wenn sie an das gemeinsame Heim dachte, an das, was vor ihnen lag. [/i]

Marja richtete sich auf und betrachtete ihr Tagwerk: damit konnte man das Haus bald decken, dachte sie zufrieden und strich sich durch ihr Haar. Und zuckte schmerzlich zusammen: Mist, die dicke Beule fühlte sich an wie ein Ei. Behutsam betastete sie die Schwellung und seufzte.
Bis Lukasz heimkäme würde noch etwas dauern. So hatte sie noch Zeit, die sie nutzen wollte, um sich zu üben – damit sie die Steinschnüre bald gegen ihre Klingen tauschen konnte.
02.06.2017 14:39:57
Aw: [Marja] Die Melodie des Lebens (#118803)
Drambuie
Sie hatte sich Näharbeiten in einen Korb gepackt, dazu eine Flasche mit Wasser. Es mochte seltsam anmuten, dass sie das schlichte Leinenkleid gegürtet hatte, doch sie wollte nicht ohne ihre Schwingen sein. An der Baustelle war es inzwischen voll geworden von Helfern und von Wachen und sie wusste es für die nächsten Stunden in guten Händen, denn sie brauchte ein wenig Ruhe um ihr Lied wiederzufinden.

Nicht weit entfernt, bei dem Teich an den Höfen, war der Platz, den sie erkoren hatte. Sie hatte einen guten Überblick hier – und war dennoch allein. Mit dem Rücken an den warmen, rauhen Stamm der Linde gelehnt, breitete sie ihr Hemd auf ihrem Schoß aus und seufzte. Ein kräftiger Riss hatte das Hemd geteilt, aber es war gutes Leinen und sie wollte nichts verschwenden, und so fing sie an, die Nadel wieder und wieder in den Stoff zu führen und den Riss zu schließen. Übungsstunden forderten nunmal Tribut und es war nur ein gerissenes Hemd: der Preis dafür, dass sie überlebt hatte. Die anderen hatten weniger Glück gehabt. Die Schwingen der Schwerter wurden inzwischen wie die Verlängerung ihrer eigenen Hände.

Au! Der Blutstropfen quoll wie ein Rubin auf ihrer Daumenkuppe und drohte das weiße Leinen zu benetzen. Schnell leckte sie ihn ab. Schon seltsam, dass Hände, die bislang nur nähten oder die Laute schlugen, sich nun um Klingengriffe schlossen. Seltsam, dass sie inzwischen zu jemandem wurde, den man hörte. Und sah. Und den man fragte.

Das Lied ihres Lebens hatte sich verändert, eine Saite hatte eine andere Stimmung bekommen und fügte sich nicht mehr so reibungslos lieblich in die Harmonien ein, die sie zeitlebens kannte. Aber genau das war, was das Lied nun interessant machte und aufhorchen liess.
09.06.2017 08:50:55
Aw: [Marja] Die Melodie des Lebens (#119024)
Drambuie
Marja war mehr als überrascht, als ein junger Knabe sie an den Höfen aufsuchte. Man sah ihm an, dass er lange unterwegs gewesen war – und ganz sicher nicht von dieser Insel stammte. Sein Gesicht war sonnenverbrannt, das Haar auf See ausgeblichen. Als er zu sprechen begann, tat er es im Akzent ihrer Heimat, lange schon hatte sie diesen Schlag nicht mehr gehört. Und er erzählte. Dass der alte Skalde von daheim gestorben ist im letzten Winter, dass er ihm versprochen hatte, das Paket nur Marja auszuhändigen. Korla hatte es gehütet wie einen Schatz – sollte Marja es doch nicht vor ihrem 20 Jahr erhalten. Und dass er seit langem sich umgehört hatte, um ihren Verbleib herauszufinden, um sein Versprechen zu erfüllen.

Man plauderte von daheim, sie bot Erfrischung an - und doch konnte sie es kaum abwarten, sich dem Paket zu widmen. Endlich war es soweit.


Das umhüllende Leder war speckig und dunkel, die Kordel der Verschnürung und Verknotung so alt und dadurch verfilzt, dass sie sie losschneiden musste. Darunter wieder ein Lage – Wachspapier dieses Mal, um die Feuchtigkeit fernzuhalten, und noch einmal Leder – dann endlich vergilbtes Leinen. Zusammengefalteter Stoff, eine Kette – darauf ein Brief. Ihr klopfte das Herz bis zum Hals und ihre Finger zittern, als sie das Schreiben entfaltete. Die Knicke waren schon brüchig geworden und rissen ein, egal, wie vorsichtig sie war.


[i]"Mein geliebtes Kind, geliebte Marja

Wenn dich diese Zeilen erreichen, werde ich nur noch eine schwache Erinnerung für dich sein – wenn überhaupt. Niemals hatte ich Gelegenheit, dir zu sagen, woher du kommst und mir blutet das Herz, dass ich dich nicht aufwachsen sehe, und nicht erleben werde, wie du vom Kind zum Mädchen und zur Frau wirst. Ich spüre, dass ich nicht mehr viel Zeit habe, ich kann nicht atmen hier. Ich werde weniger. Und ich befürchte, dass dein Vater – mein Gemahl – dir niemals sagen wird, wer deine Mutter war. Silifrey - so nannte man mich bei den Stämmen. Silifrey - wie gern habe ich diesen Namen gehört, doch es ist so lange her. Ich will nicht klagen, ich ging mit deinem Vater mehr oder weniger freiwillig, doch ich war so jung! Ich wusste nichts! Ich wusste nicht, dass ich in ein Gefängnis ging, aus dem ich nie mehr herauskommen werde.

Was hätte ich dir mitgegeben? Ich hätte dich gelehrt, deine Wurzeln zu suchen, um stark daraus zu erwachsen. Ich hätte dir die alten Weisen beigebracht, die man bei uns lebte. Ich hätte dich so gern gelehrt, was es heißt, frei und unbändig zu sein und stark. Sei es! Ich hoffe so sehr, dass etwas von mir in dir wiederkehrt, dass du das Leben führen wirst, was ich nicht konnte.

Ich will, dass du bekommst, was mir immer lieb und teuer gewesen ist und was ich dir so gern an deinem Brauttag angelegt hätte: Nimm das Kleid, das ich trug und die Kette. Sie ist alt, sehr alt. Und vielleicht wirst du verstehen, wenn du beides trägst. Ich nahm dem alten Korla das Versprechen ab, es zu hüten und vor deinem Vater zu verbergen und es dir erst zu geben, wenn dein zweites Lebensjahrzehnt angebrochen ist. Vielleicht verstehst du. Dein Vater hätte nicht gewollt, dass du es bekommst.

Marja, geliebte Tochter, ich bin nicht geübt im Schreiben und was ich dir sagen möchte, würde viele Seiten füllen. Wisse einfach – ich, Silifrey, deine Mutter, liebt dich!

Mach mich stolz!"[/i]


Die Hand, die den Brief hielt, sank ganz langsam auf ihren Schoß. Sie starrte ihn erschüttert an. Konnte das sein? Nach all den Jahren? Ihr war schwindelig und in ihr tobte ein Gemisch aus Aufregung, Trauer, Freude, Verlust, so vieles, was sich nicht greifen ließ. Das musste sie erst mal verarbeiten - ehe sie den Mut fand, jetzt letzlich an das Geschenk zu wagen, dass sie bekommen hatte. Das Kleid. Die Kette. Sie würde es anlegen - aber nicht hier, nicht jetzt. Nicht auf der Baustelle, es wäre wie ein Sakrileg. Es war kostbar, weil es alt war. Es war kostbar, weil es von ihrer Mutter war. Und nun gehörte es ihr.
28.06.2017 08:39:26
Aw: [Marja] Die Melodie des Lebens (#119551)
Drambuie
Elboria - es hatte sie tatsächlich nach Elboria verschlagen. Und so saß sie im Schneidersitz auf einem weichen Lammfell inmitten eines ihr fremden Baumhauses. Marja war allein. Ihr Rucksack mit den wichtigsten Habseligkeiten stand neben einem provisorischen Lager, ihren Waffengurt und ihre Laute hatte sie an einen herausstehenden Ast gehängt. Klinge und Lied. War das ihre Bestimmung? Ja, war es. Jedes für sich war schon richtig, aber erst die Verbindung von vielem fühlte sich für sie richtig an.

Ihr ganzes Leben schien so planmässig gewesen zu sein, seit Kindheit an ein vertrautes Gesicht, eine vertraute Aufgabe, Sicherheit - und jetzt war alles im Umbruch befindlich. Das erste Heim - zerstört. Es würde dauern, es wieder herzurichten, wenn überhaupt. Ein vertrautes Gesicht war verborgen, aber in Sicherheit, wie sie glaubte. Neue Gesichter traten in ihr Leben und manche davon wurden vertrauter. Freunde blieben zurück, neue Freunde fanden sich. Wer hatte die Schicksalsfäden so gesponnen? War es überhaupt wichtig, das zu wissen? Nein - ein Schicksal musste angenommen und das Leben gelebt werden.

Man bot ihr Gastfreundschaft in der Stadt der Elfen und die Gemeinschaft stellte sich schützend vor sie. Etwas, was sie so gar nicht kannte.


Marja betrachtete das kleine Stoffbündel vor sich: sie hatte den Kristallsplitter mit einem Schürhaken aus dem Pentagramm gezogen und ihn in Stoff und Leder gewickelt, ohne ihn zu berühren. Dieser Splitter, das fehlende Teil des Kristallschwertes - hatte er die Drow "sehen" lassen, wo sie lebte? Sie hatte versprochen, das Schwert wieder komplett zu machen, nun hatte sie die Gelegenheit - eigentlich hatten sie ja schon die Möglichkeit aufgegeben, diesen Splitter je zu bekommen. Und nun hatte der Splitter zu ihr gefunden. Sie würde ihn zur Winterrache bringen. Bald. Und die Akademie, um zu üben und zu lernen. Es war so viel zu tun. Nur hatte sie nicht die Zeit der Elfen. Menschliche Ungeduld. Sie musste ganz leicht lächeln: Ja.